Landkreise fordern neue Kriterien zur Bewertung der Corona-Lage
Allein den Inzidenzwert anzusetzen, sei nicht mehr die richtige Vorgehensweise. Das sagen der Cloppenburger Landrat Johann Wimberg und der Erste Kreisrat des Landkreises Vechta, Hartmut Heinen.
Maskenpflicht auf der Straße: Solche Vorgaben richten sich nach dem Inzidenzwert. Doch nun sind immer mehr Menschen geimpft. Foto: dpa
In Niedersachsen gibt es diese Forderung schon lange: Der Wert der 7-Tage-Inzidenz, die Zahl der Corona-Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner, soll nicht mehr der alleinige Maßstab zur Bewertung der Pandemie-Lage sein. Und er soll nicht mehr das einzige Kriterium für Einschränkungen des öffentlichen Lebens sein.
Sah es zunächst danach aus, dass auch die Bund-Länder-Runde sich darauf verständigen würde, kam es am Dienstag doch anders. Die Entscheidung, zusätzliche Faktoren wie die Impfquote, die Bettenbelegung in Kliniken, die Zahl der durch Covid-19 bedingten Todesfälle und die Schwere der Infektionen heranzuziehen, wurde vertagt.
"Ein richtiges Konzept ist noch nicht da."Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Warum? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärte es auf der Pressekonferenz mit diesen Worten: "Ein richtiges Konzept ist noch nicht da." Denn es sei "die kniffligste Frage von allen", wie die anderen Faktoren in die richtige Relation zur Inzidenz gebracht werden können. Die Diskussion werde aber in Fachgremien weitergeführt.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erläuterte, dass es "sehr viele Variablen" gebe, die wiederum von der Impfquote abhingen. Es sei dabei wichtig zu schauen, wie weit der Fortschritt der Impfungen in bestimmten Altersgruppen vorangehe, etwa bei den Über-60-Jährigen.
Kritik am Beschluss: Johann Wimberg (CDU). Foto: Hermes
Dennoch: Im Oldenburger Münsterland trifft das auf Kritik und Vorbehalte. Der Landrat des Landkreises Cloppenburg, Johann Wimberg (CDU), sagte: Eine genaue Festlegung weiterer Faktoren neben der Inzidenz zur Beurteilung der Corona-Situation sei zwar "sicherlich schwer definierbar", aber es seien hier "alle Anstrengungen" zu unternehmen. Nur weil das Festhalten am Inzidenzwert der einfachere Weg sei, könne er nicht als alleiniger Maßstab weiter angesetzt werden, sagte Wimberg. Denn es gehe bei den Einschränkungen auch um "schwerwiegende Eingriffe in die Freiheitsrechte".
Und die aktuelle Situation sei nicht mit jener wie noch vor einem Jahr vergleichbar. Es gebe eine höhere Durchimpfung in der Bevölkerung. Ebenso gebe es mit Blick auf die Corona-Patienten derzeit "wenig Bewegung in den Krankenhäusern". Auch bei den Todesfallzahlen habe "sich vieles deutlich zum Besseren verändert".
Wimberg drängte darauf, weitere Faktoren zu berücksichtigen. Das erwarte auch die Bevölkerung. Er erklärte: Wenn niemand infolge einer Corona-Infektion im Krankenhaus liege und niemand im Zusammenhang mit einer Covid-19–Erkrankung versterbe, dann "können wir eine Inzidenz von 400 aushalten".
Fordert Objektivität: Vechtas Erster Kreisrat Hartmut Heinen. Foto: Chowanietz
Der Erste Kreisrat des Landkreises Vechta, Hartmut Heinen, begrüßte zwar, dass in Richtung weiterer Faktoren zur Bewertung der Corona-Lage gedacht werde. Er stellte auch heraus, dass die Vechtaer Verwaltungsspitze seit Wochen dieser Auffassung sei: "Die Inzidenz als alleiniges Merkmal zu nehmen, halten wir nicht für richtig." Denn "bei zunehmendem Impffortschritt" sei die Inzidenz als alleiniger Maßstab "schwierig".
Heinen forderte mit Blick auf ein mögliches neues System, dass es "verständlich, transparent und einheitlich" sein müsse. So monierte er, dass das Land dem Landkreis keine genauen Daten darüber geben könne, wie viele Impfungen durch Betriebsärzte vorgenommen wurden. Die Zahl dürfte angesichts der Aktionen in großen Unternehmen vor Ort relativ groß sein. Das Beispiel zeige, dass auch für die Beachtung von neuen Faktoren wie der Impfquote eine "objektive Transparenzgröße" erforderlich sei, um nicht schlechter dazustehen als die Lage in Wirklichkeit sei.