"Es wird eine Wahl, die vor dem Supreme Court endet"
Von Lohne in den Big Apple: Carl-Arndt Krapp (50) aus New York erzählt, wie er den US-Wahlkampf erlebt – und warum Donald Trump wieder gewinnen könnte.
Andreas Timphaus | 31.10.2020
Von Lohne in den Big Apple: Carl-Arndt Krapp (50) aus New York erzählt, wie er den US-Wahlkampf erlebt – und warum Donald Trump wieder gewinnen könnte.
Andreas Timphaus | 31.10.2020

New York City ist sein Zuhause: Der gebürtige Lohner Carl-Arndt Krapp lebt und arbeitet gerne in der US-Metropole. Foto: Krapp
Herr Krapp, welche Rolle spielt die US-Präsidentschaftswahl in Ihrem Leben? Welche Bedeutung hat die US-Wahl innerhalb Ihrer Familie? Welche Auswirkungen könnten sich auf Ihr Privatleben ergeben? Für Europäer ist es schwer verständlich, dass Donald Trump trotz seiner Art und Weise überhaupt noch eine Chance auf eine Wiederwahl haben kann. Können Sie dies den Lesern erklären? Es ist für einen Deutschen in der Tat schwer nachvollziehbar, wieso Donald Trump so viel Erfolg hatte – und eventuell auch in den kommenden 4 Jahren haben wird. Zum einen ist da der Nationalismus. Das ist keine amerikanische Erfindung. Wie in vielen anderen Ländern wehrt man sich in den USA gegen Ausländer, Welthandel, etc. Ich sehe selbst, wie viele Gegenden Amerikas, die einst große Industrien beheimateten, mittlerweile zerfallen, mit Niedriglohnjobs auskommen müssen und zusehends mit Drogenhandel und Kriminalität zu kämpfen haben. Trumps Ansagen wie "Make Amerika Great Again" werden in solchen Teilen Amerikas gerne gehört. Jetzt mal Tacheles: Wen würden Sie wählen? Und vor allem: Warum?Zunächst einmal darf ich als Greencard-Besitzer nicht wählen – nur Steuern zahlen, wie übrigens auch die Bewohner der Hauptstadt Washington, die nicht wahlberechtigt sind. Der momentane Präsident ist nicht gut für mich, für meine Familie, das Land und die Welt. Alles, was es an Werten gibt, wird von ihm mit Füßen zertrampelt – und daher würde Donald Trump meine Stimme nicht bekommen. Doch auch die Gegenseite kann nicht so richtig überzeugen. Es fehlen die großen Ideen, wie die Probleme der USA und der Menschheit abgearbeitet werden sollen – zu sehr beschäftigen sich die Demokraten mit Donald Trump. Das zeigen auch die Umfragewerte: Zwar hat Joe Biden mit 10-Prozent-Punkten einen guten Vorsprung - guckt man aber ein wenig genauer hin, stellt man fest, dass Donald Trump eine Anhängerschaft hat, die ihn zu 80 Prozent liebt. Joe Biden hat hingegen zu 70 Prozent eine Anhängerschaft, die Donald Trump ablehnt. Diese Statistik bestärkt mich in dem Glauben, dass Donald Trump die Wahl gewinnen wird. Es wird aber keine saubere Wahl. Es wird eine Wahl, die vor dem Supreme Court endet – dem Obersten Gerichtshof, in den Trump bereits 3 Richter einberufen hat. Auch dies waren alles kalkulierte Schachzüge. Wie ist die Stimmungslage in Ihrer Umgebung? Wem geben Ihre Freunde und Kollegen ihre Stimme? Sie leben seit mehr als 20 Jahren in den USA. Wie hat sich das politische Klima in den vergangenen Jahren gewandelt? Ein beherrschendes Thema ist momentan die Corona-Pandemie. Wie erleben Sie diese Krise? Wie sieht Ihre Zukunftsprognose für die USA aus?
Die momentane Präsidentschaft hat ohne Zweifel das Land tief gespalten. Das politische Klima ist mittlerweile so, dass die Parteien gar nicht mehr aufeinander hören und diskutieren. Jeder Vorschlag und jeder Kompromiss wird pauschal abgelehnt und angefochten. Auch die Fernsehsender sind jeweils einer politischen Zielgruppe zugeneigt, sodass eine neutrale Berichterstattung eher schwierig ist. Diese Situation ist zum Teil nicht mehr ertragbar und ich werde sehr froh sein, wenn die Wahl endlich entschieden ist – egal wie –Hauptsache, man kann sich wieder den Sachthemen zuwenden.
Bisherige Präsidenten haben in der Regel versucht, das Land zu einigen, um so eine tragende Mehrheit für ihre Politik zu gewinnen. Das hat aber auch dazu geführt, dass in Washington ein neuer Berufsstand entstanden ist – nämlich der des Lobbyisten. Über Jahrzehnte wurden Interessen oftmals mit Hilfe von viel Geld durchgesetzt, ohne das es spürbar bei der Allgemeinheit ankommt. Dies wiederum führte zu einer Politikverdrossenheit. Das Positive, was diese Präsidentschaft gebracht hat, ist eine zunehmende Anteilnahme der Bevölkerung an der Politik. Es ist bereits jetzt eine hohe Wahlbeteiligung abzusehen. Es war in der Tat mal Zeit, ein wenig Unruhe in Washington zu stiften. Aber ich hoffe nun doch, dass sich die Lage bald wieder normalisiert.
Persönlich hoffe ich auf einen Wechsel. Man spürt die Verrohung der Gesellschaft, die zunehmende Akzeptanz von Rassismus und Antisemitismus, und das Ende der sonst so offenen Willkommenskultur der Amerikaner.
Geschäftlich wird der Ausgang der Wahl in jeglicher Konstellation spannend sein. Als Anbieter von Versicherungssoftware, insbesondere für Obamacare, wird sich mit dieser Wahl auf jeden Fall etwas ändern – und Veränderungen sind in unserer Branche immer gut.
Ich bin seit 22 Jahren mit meiner Frau Joy-Marie verheiratet. Sie ist aus Nigeria in die USA eingewandert und ich aus Deutschland. Dadurch sind wir immer viel unterwegs. Donald Trump hat Nigeria auf die Liste krimineller Staaten gesetzt, was zur Folge hat, dass ihre Eltern, Geschwister und Verwandte von heute auf morgen zur Persona non grata wurden, das heißt Verwandtschaftsbesuche aus Nigeria sind momentan nicht möglich.
Weiterhin haben wir in unseren Bekanntenkreis sehr viele Ausländer – was in New York nichts Ungewöhnliches ist. Doch noch vor ein paar Wochen gab es eine regelrechte Panik, weil Studenten, die keinen Präsenzunterricht in der Uni haben, das Visum verlieren sollten. Dies fand in der Presse nur wenig Aufsehen, aber in unserem Bekanntenkreis gab es zum Teil dramatische Szenen und viele Tränen. Gott sei Dank haben die Vertreter großer Universitäten dieses Gesetz gekippt, auch wohl deswegen, weil ausländischen Studenten mehr als 20 Milliarden Dollar an Umsatz in das Land bringen.
Auch die Schule meiner Tochter ist unmittelbar der Politik Donald Trumps ausgeliefert. Meine Tochter geht auf die Deutsche Schule New York, an der viele deutsche Lehrer beschäftigt sind. Dafür bedarf es entsprechender Visa und Aufenthaltserlaubnisse. Diese erlangt man immer schwieriger, sodass es bereits in einigen Fächern schwierig wird, den Stundenplan einzuhalten. Wir sehen auch, dass es immer weniger Deutsche gibt, die mehrere Jahre in die USA kommen und ihre Kinder zur Deutschen Schule schicken.
Donald Trump ist vor 4 Jahren angetreten, um der eingefahrenen Politik den Kampf anzusagen. Er hat Washington radikal auf den Kopf gestellt. Darüber hinaus hat er konsequenterweise seine Wahlverspechen durchgesetzt und damit nicht nur in den eigenen Reihen Punkte gesammelt, sondern auch Anerkennung – wenn es auch keiner öffentlich zugeben will – von der gegnerischen Seite.
Zum anderen ist es Donald Trumps sicheres und selbstbewusstes Auftreten. Seine Auftritte empfinden Deutsche mehr als peinlich und zum Teil widerlich. Nicht so der Amerikaner. In einem Land, in dem konstant Werbung in Bild und Ton aufeinanderprallen, in dem Politik und Showbusiness fließend ineinander übergehen und in dem letztlich alles nach den Dollars bewertet wird, macht Donald Trump in allen diesen Bereichen eine gute Figur. Wenn man glaubt, dass Donald Trump eher tollpatschig und unbeholfen wirkt, so darf man sich nicht täuschen lassen – jede seiner Aktionen ist kalkuliert – und seine Gegner fallen oft auf seine Fallen rein.
Schließlich ist Donald Trump ein sehr gewiefter Geschäftsmann und hat einen sehr schwachen Gegner. Meines Erachtens machen die Demokraten den Fehler, alle Attacken gegen ihn persönlich zu fahren und nicht mit konstruktiver Arbeit seine Politik zu beeinflussen. Er schafft es immer wieder, den Gegner schlecht aussehen zu lassen – ohne dabei wirklich selber zu glänzen.
Amerika ist groß und sehr facettenreich. New York ist zu 70 Prozent demokratisch und daher ist niemand schüchtern, sich offen gegen Donald Trump zu äußern. Es wird aber auch schon hier oder dort bestätigt, dass der Angriff auf das eingefahrene politische Bauwerk nicht unbedingt schlecht ist. Alle hoffen, dass Trump abgewählt wird. Es ist aber auch keiner mit der Alternative so richtig glücklich.
Das politische Klima ändert sich andauernd, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf lokaler. Vor 20 Jahren war der hoch-konservative Republikaner Rudolph Giuliani Bürgermeister von New York. Heute ist es der sehr liberale Bill DeBlasio. Unterschiedlicher kann es kaum sein. Diese sich immer wieder ändernden Konstellationen sind gut und auch so von der Verfassung erwünscht.
In den vergangenen 20 Jahren ist hier schon einiges passiert. Ich habe hautnah den 11. September miterlebt, gefolgt von einem Kriegsaufruf gegen Afghanistan und den Irak, den ersten schwarzen amerikanischen Präsidenten, eine schwere Finanzkrise – und dann Donald Trump. Diese zwei Jahrzehnte alleine zeigen, wie Amerikaner sich ständig neu orientieren und neu erfinden. Mit Schicksalen und Problemen wird nicht lange gehadert, sondern es wird weitergemacht. Als George W. Busch abdankte, gab es Freudentänze in New York. Doch damals sagte schon ein guter Freund von mir, ein Republikaner: "Warte mal ab. Nur die Geschichte wird zeigen, wie gut George W. Bush wirklich bewertet werden kann." Jetzt, mit Donald Trump an der Macht, muss ich oft an diesen Satz denken.
Obwohl die Politik sich in den vergangenen 20 Jahren verändert hat, denke ich, dass auch Trump nur eine Phase ist. Spätestens in 4 Jahren wird auch dieser Spuk vorbei sein.
New York war ja zu Beginn das Epizentrum in Amerika. Es gab Szenen, die mir lange in Erinnerung bleiben werden: Die tägliche Pressekonferenz des Gouverneurs von New York, auf der die neuesten (Todes-)Statistiken bekannt gegeben wurden – und jetzt wieder werden), der Aufbau eines Krankenhauszeltes direkt vor meiner Haustür im Zentralpark, das Aussterben der Innenstadt, das Einlaufen eines riesigen Militärkrankenhauschiffs in den Hafen. Mir macht es schon Sorge, wie viele Restaurants, Kneipen und Geschäfte schließen. Auch der Immobilienmarkt wird große Probleme haben. Der Wohnungsmarkt erholt sich zwar gerade, aber der Markt für Gewerbe- und Büroflächen existiert momentan gerade nicht. Auch wir überlegen gerade, unsere Büroflächen in Midtown Manhattan drastisch zu verkleinern, weil ein Großteil unserer Mitarbeiter von zu Hause arbeiten will – auch wenn die Pandemie vorüber sein sollte.
Ich denke, dass wir die Pandemie in absehbarer Zeit unter Kontrolle haben werden. Persönlich sehe ich die Rassen- und Umweltprobleme als viel langwieriger und schwerwiegender zu lösen an. Ich habe hautnah miterlebt, wie die George-Floyd-Proteste in Gewalt und Anarchie umschlugen. Geschäfte in unserm Bürohaus wurden geplündert, Läden und Restaurants waren für Wochen verbarrikadiert. Diese Probleme machen mir wirklich Angst. Die Pandemie kann man durch Disziplin und Maskentragen lösen. Rassenprobleme gibt es seit der Beginn der Menschheit.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die USA diese Krisen – sowohl die Corona-Pandemie als auch die Trump-Präsidentschaft – nicht nur gut überstehen wird, sondern gestärkt daraus hervorgeht. Der Amerikaner lebt eher die "Das Glas ist noch halbvoll"-Mentalität, während für den Deutschen das Glas meist bereits mehr oder weniger leer ist. Dieser Optimismus, gepaart mit dem ständigen Ansporn und Wettbewerb, macht dieses Land so spannend.Zur Person
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