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Die Büchereien müssen schließen – aber warum?

Unverständnis in Dammes Bücherei St. Viktor über die Auflagen des erneuten Corona-Lockdowns. Das Gesundheitsministerium verteidigt die Entscheidung.

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Fertig gepackt können bis zu 5 Medien in Dammes Öffentlicher Bücherei ausgeliehen werden, wie Bibliothekarin Anja Kramer zeigt. Foto: Scholz

Fertig gepackt können bis zu 5 Medien in Dammes Öffentlicher Bücherei ausgeliehen werden, wie Bibliothekarin Anja Kramer zeigt. Foto: Scholz

Es ist ruhig, sehr ruhig. Wo sich sonst Bücherfans über die angenehme Stille freuen, erwartet einen nun gähnende Leere: Die Öffentliche Bücherei St. Viktor in Damme musste aufgrund der Auflagen des Lockdown light schließen; wie fast alle Büchereien im Land.

Verstehen kann Bibliothekarin Anja Kramer die Entscheidung der Politik nicht. Es gibt ein Hygienekonzept. Das sei eingehalten worden. "Wir sind für die Familien total wichtig", versichert Kramer. Am vergangenen Donnerstag hätten sie und ihr Team mit insgesamt 8 Ehrenamtlichen noch gehofft, dass Büchereien von den Schließungen verschont bleiben. Umso größer war dann die Enttäuschung, als es hieß, dass nur Universitätsbibliotheken offen bleiben dürfen. Wobei: Bundesweit gebe es laut Kramer noch nicht einmal dafür eine einheitliche Regelung.

Mit ihrer Kritik ist die Dammer Bücherei-Leiterin nicht alleine. Auch Angelika Brauns, die Geschäftsführerin der Büchereizentrale Niedersachsen, die alle öffentlichen Ausleihstellen im Land betreut, sagt: "Die Entscheidung ist keineswegs nachvollziehbar." Ihres Kenntnisstandes nach habe Niedersachsen als einziges Bundesland entschieden, die Büchereien komplett zu schließen. Obwohl es einheitliche Regelungen im Bund gegeben habe, handelt Niedersachsen anders, kritisiert Brauns. "Es ist nicht richtig, die Bibliotheken zu schließen, da gerade jetzt das Bedürfnis groß ist", sagt Brauns. Aktuell würden darum auf verschiedenen Ebenen Gespräche laufen. Denn: Der genaue Grund für Niedersachsens Alleingang sei unklar.

Ministerium hält Schließungen für erforderlich

Diesen Grund kann auch der Landkreis Vechta auf Nachfrage nicht nennen. Er verweist auf das Land. Zuständig für die Corona-Verordnungen ist das Gesundheitsministerium von Ministerin Carola Reimann (SPD). In der aktuellen Verordnung steht: "Geschlossen werden müssen außerdem alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen, wie etwa Bibliotheken. Eine kontaktlose Ausleihe ist aber möglich." 

Doch wie begründet das Ministerium die Regel? Die Antwort ist pauschal. Es gelte, Kontakte zu minimieren. Hierfür seien alle Freizeiteinrichtungen geschlossen worden; Universitätsbibliotheken dürften betreten werden. Und warum entschied sich Niedersachsen für den Alleingang? Hierauf gibt es keine Antwort. 

Gähnende Leere in der Dammer Bücherei. Trotz eines Hygienekonzeptes musste die Einrichtung schließen. Foto: ScholzGähnende Leere in der Dammer Bücherei. Trotz eines Hygienekonzeptes musste die Einrichtung schließen. Foto: Scholz

Anja Kramer und ihrem Team reichen diese Hinweise aus Hannover nicht. "Viele Leser fragten uns: Wo ist da überhaupt noch ein Sinn dahinter", erzählt Kramer. "Heute Morgen standen einige Leute vor der Tür und haben geklopft. Als sie die Schilder gesehen haben, mussten viele mit dem Kopf schütteln. Hier stimmt was nicht." Die Bibliothekarin kann sich daher gut vorstellen, dass die Schließungen von Gerichten gekippt werden.

Besonders Familien leiden 

"Wir als Bücherei sind auf der einen Seite eine öffentliche Einrichtung. Auf der anderen Seite haben wir aber auch einen Bildungsauftrag für die Kinder, den wir jetzt nicht mehr erfüllen können." Viele Kindergärten und Schulen hätten schon nachgefragt, ob sie wieder kommen könnten. Gerade den Kindern und Jugendlichen würde gerade vieles wieder genommen. Fußball, Schwimmtraining, Turnstunden: Alles fällt aus. Ein Buch zu lesen, das lenke ab. "Irgendwas muss den Familien doch bleiben", klagt Kramer.

In einer ähnlichen Situation waren die Diplom-Bibliothekarin und ihr Team übrigens schon Mitte März. Auch da mussten sie schließen. Im Mai, nach der Öffnung, seien die Kunden erst zögerlich, dann deutlich verstärkt wieder in die Dammer Bücherei gekommen. "Spätestens im Sommer hatten wir wieder ein normales Niveau", berichtet Kramer. Es sei sogar ein leichter Trend zu mehr Lesern als noch vor der Corona-Pandemie festzustellen. Das Buch habe eine Renaissance erlebt. 

Kontaktlose Ausleihe ist wieder möglich

Doch einfach aufgeben wolle das Dammer Bücherei-Team nicht. "Uns war ziemlich schnell klar, dass wir wie damals im März und April schon unsere kontaktlose Bücherausleihe anbieten wollen", sagt Kramer. Diese sei einfach umsetzbar.

Auch Figuren für die Tonieboxen können in der Dammer Bücherei ausgeliehen werden. Foto: ScholzAuch Figuren für die Tonieboxen können in der Dammer Bücherei ausgeliehen werden. Foto: Scholz

Auf der Internetseite der Bücherei Damme (www.buecherei-damme.de) können Leser bis zu 5 Medien aus dem Bestand der Bücherei auswählen, wobei es laut Kramer egal sei, ob dies Bücher, DVDs oder auch Gesellschaftsspiele seien. Unter Angabe der Bücherei-Kartennummer und des Namens könne pro Ausweis dann eine Bestellung per Mail an info@buecherei-damme.de oder telefonisch unter 05491-9089089 abgegeben werden. "Die Bestellungen, die bei uns bis 11 Uhr eingegangen sind, können dann nachmittags ab 14.30 Uhr bei uns im Windfang abgeholt werden", erklärt Kramer. Das Angebot gelte aber nur für die Bücherei in Damme und nicht für die in den Bauerschaften Osterfeine und Rüschendorf.

Eine Rückgabe der ausgeliehenen Bücher sei nur nach telefonischer Vereinbarung möglich. Für alle ausgeliehenen Medien gilt zudem die verlängerte Leihfrist bis zum 15. Dezember (Dienstag).

"Die kontaktlose Ausleihe hat im März so gut funktioniert, dass wir keinerlei Probleme sehen."Anja Kramer, Bibliotekarin Damme

Ausweisverlängerungen oder auch Neuanmeldungen seien zudem telefonisch unter 05491/9089089 möglich. "Die kontaktlose Ausleihe hat im März so gut funktioniert, dass wir keinerlei Probleme sehen", sagt Krämer. Daneben weist sie auf die Online-Bücherei lies-e.de hin, wo mit dem Ausweis von unter anderem der Dammer Bibliothek Online-Medien ausgeliehen werden können.

Eine Frage bleibt dann aber doch noch offen. Was macht das Bücherei-Team in den Wochen der Schließung? "Wir versuchen die Zeit sinnvoll zu nutzen und werden den kompletten Kinder- und Jugendbuchbereich neu sortieren", sagt Kramer. Im März hätten sie das mit den Romanen schon getan. Dennoch bleibt ein Wunsch in der Dammer Bücherei bestehen: Möglichst schnell wieder öffnen zu können.


Kommentar zum Thema von Jan-Christoph Scholz (Volontär):

Pauschalisierung ist falsch!

Restaurants schließen, Kultur- und Freizeitmöglichkeiten ebenso mit dem Ziel: die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Mit betroffen sind jetzt auch die Büchereien. Es ergibt Sinn überall dort Maßnahmen zu ergreifen, wo viele Menschen aufeinander treffen. Doch Massen habe ich in den vergangenen Wochen in den Bibliotheken nicht erlebt. Büchereien waren und sind an keiner Stelle Infektionsherde gewesen. Wie der Einzelhandel auch, hat man entsprechende Hygienekonzepte entwickelt, um den Aufenthalt möglichst sicher zu gestalten. Der Einzelhandel bleibt jetzt auf, die Büchereien aber zu: Wo ist da eine Logik hinter?

Gerade für Kinder und Familien ist das Buch in Zeiten des ersten Lockdowns essenziell geworden – eine einfache Möglichkeit der Beschäftigung. Das wird ihnen jetzt wieder genommen. Es braucht Einheit bei den Beschränkungen – und zwar bundesweit. Doch bedeutet das nicht, dass Freizeitmöglichkeiten pauschalisiert werden müssen. Ein Freizeitpark ist etwas anderes als eine Bücherei. Niedersachsens Alleingang scheint dem hiesigen Gesundheitsministerium jetzt auf die Füße zu fallen. Das Land muss hier dringend nachjustieren.

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