"Das Leben ist für uns"
Von Wiesbaden nach Wilhelmshaven wandern Jenny Schiradin und Vici Bischoff, um Liebeskummer zu überwinden. Dabei kommen sie auch durchs Oldenburger Land.
Dr. Philipp Ebert | 21.07.2020
Von Wiesbaden nach Wilhelmshaven wandern Jenny Schiradin und Vici Bischoff, um Liebeskummer zu überwinden. Dabei kommen sie auch durchs Oldenburger Land.
Dr. Philipp Ebert | 21.07.2020
Erschöpft aber glücklich: Vici Bischoff (links) und Jenny Schiradin haben das Oldenburger Münsterland bereits hinter sich gelassen. Foto: Ebert
"Müssen wir die Schuhe anziehen", fragt Vici Bischoff etwas besorgt, als es für ein Foto nochmal auf die Straße gehen soll. Ihre Frage ist verständlich: Immerhin ist die 30-Jährige gemeinsam mit Jenny Schiradin (35) schon viel gelaufen - auch durch die Region. Am Sonntag betteten die Wanderinnen ihre müden Häupter auf die Kopfkissen im Vechtaer Hotel M24; am Montag ging es nach Ahlhorn. Am Dienstag sollen die Füße die Freundinnen nun nach Oldenburg tragen. Ihr Weg durchs Oldenburger Land ist Teil einer längeren Wanderroute, die die beiden Wiesbadenerinnen von ihrer Heimatstadt aus bis nach Wilhelmshaven führt. Der Antrieb: Belastendes zurücklassen und das Glück auf dem Weg finden. Konkreter Auslöser für die Reise war eine schmerzhafte Trennung, die Jenny Schiradin zu Beginn des Jahres erlebte. Ihre Freundin, Vici Bischoff, nahm sie in den folgenden Wochen immer wieder mit auf Spaziergänge. Aus Spaziergängen wurden Wanderungen und irgendwann kam die Idee auf: Lass uns den Jakobsweg gehen. "Wir wollen nicht ankommen, weil dann der Alltag wieder da ist." Doch diesem Plan erging es wie vielen anderen Plänen im Frühjahr 2020: Sie fielen der Corona-Pandemie zum Opfer. Deshalb zogen Schiradin und Bischoff auf einer Landkarte einen geraden Strich von Wiesbaden an die Nordsee und entschieden: Wir wandern von Wiesbaden nach Wilhelmshaven. So ging es über den Westerwald und das Rothaargebirge, durch Sauerland, Bielefeld und am Teutoburger Wald entlang. Im Nordwesten machten sie Station in Osnabrück, in Lembruch am Dümmer, in Vechta, Ahlhorn und - ab Dienstag - in Oldenburg. Danach geht es über Dangast weiter nach Wilhelmshaven. Und dann? "Wir wollen nicht ankommen, weil dann der Alltag wieder da ist", räumt Schiradin ein. Vielleicht geht es daher auch noch weiter nach Norden, in Richtung Ostfriesische Inseln. Aber das lassen sich die beiden Frauen offen. Das Ziel ist und bleibt zunächst Wilhelmshaven. Wenn sie auf die bisher 15 Tage ihrer Reise zurückblicken, staunen die beiden "Mädels", wie sie sich selbst nennen, nicht schlecht. "Unterwegs passieren so viele schöne Dinge", sagt Schiradin, "da bleibt kaum Zeit zu trauern." Schon den ganzen Tag in der Natur unterwegs zu sein, sei toll, sagt die Berufsschullehrerin. Sportstudentin Bischoff ergänzt: In der Ruhe und Entschleunigung könnten sie viel über das Leben nachdenken. Aber auch die Ausblicke und vor allem die Begegnungen mit Menschen seien eine Bereicherung. Tatsächlich: Bisher sind sie an vielen Orten von gastfreundlichen Menschen aufgenommen worden, konnten im Garten zelten oder auf Sofas und in Gästezimmern übernachten. "Das ist nicht selbstverständlich", bemerkt Schiradin dankbar und fügt an: "Wir hätten niemals mit so vielen Angeboten gerechnet." Einmal hatte eine Familie ihr sogar erlaubt, die Waschmaschine zu benutzen, obwohl die Hausherren selbst verreist waren - dafür erfuhren sie auch, wo der Ersatzschlüssel liegt. Bischoff ergänzt, bisher hätten die beiden gedacht: "Das Leben ist für uns", weil sich auf ihrer Reise alles zum Positiven wende. Am Dümmer zelteten sie auf einem Campingplatz, in Vechta kamen sie im Hotel M 24 von Peter und Andrea Triphaus an der Münsterstraße unter. Gastfreundschaft und Vertrauen in die Mitmenschen, das ist eine Seite des Lebens in der deutschen Provinz. Eine andere ist die tägliche Mittagspause von Geschäften. Die hat die beiden Freundinnen, die sich einst beim gemeinsamen Fußballspielen kennenlernten, in vielen Dörfern überrascht. So hätten sie manchmal einige Stunden warten müssen, bevor sie Lebensmittelvorräte aufstocken konnten. Beim Wasser hingegen sind sie nicht an Öffnungszeiten gebunden: Meist klingeln sie an Privathäusern und bitten um Leitungswasser. Da die beiden "Mädels" ihre Reise bei Instagram begleiten, werden sie jetzt manchmal schon unterwegs erkannt; Autofahrer halten an, stellen Fragen. "Die Leute fiebern mit", berichten die beiden erstaunt über die Reaktionen auf ihren Kanal "Happiness in Progress 2020". In Bielefeld kamen gar eine Reihe von Leute zu dem Imbiss, in dem sie zum Abendessen eingekehrt waren. Eine Fußpflegerin brachte ihre Arbeitsgeräte mit und verpasste Schiradin und Bischoff vor dem Lokal ein Fußbad nebst Fußmassage. Dieses Maß an Begeisterung sorgt bei den beiden Frauen auch für etwas Verwunderung. "Es gibt doch so viele Wanderer", wundert sich Schiradin und fragt, warum ausgerechnet ihre Reise so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dass das so ist, haben aber auch Outdoor-Hersteller erkannt und die Wiesbadenerinnen mit Schuhen, Rucksäcken und einem Zelt ausgestattet. Am Dienstagabend wollen sie in Oldenburg ankommen. Dort werden sie einen Tag Pause machen; weil die Zeit es zulässt und sie viel über die Schönheit der Stadt gehört haben. Dann geht es weiter nach Norden, auf dem Weg ins Glück.
Gastfreundschaft und Provinzialität, das erleben die beiden Frauen unterwegs
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