Muss man eine 97-Jährige mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust noch vor Gericht zerren? Ja, man muss. Denn Mord und auch die Beihilfe dazu verjähren nun mal nicht. Soweit die juristische Seite des Falles der ehemaligen KZ-Sekretärin, die als engste Mitarbeiterin des Lagerleiters geholfen hat, den Massenmord im Konzentrationslager Stutthoff zu organisieren.
Dabei spielt es wie vor 11 Jahren im Urteil gegen den ehemaligen KZ-Aufseher Demjanjuk keine Rolle, ob sie aktiv am Mord von mindestens einem der 10.000 Menschen mitgewirkt hat. Sie war Teil der Tötungsmaschinerie in dem Konzentrationslager und damit in die Morde verstrickt, wenn auch nur vom Schreibtisch aus. Auch das lange beliebte Argument, keine Wahl gehabt zu haben, stimmt nicht, wie Historiker schon für Teilnehmer an Exekutionskommandos nachgewiesen haben. Es gab immer die Möglichkeit, Nein zu sagen, ohne Gefahr, das eigene Leben zu riskieren. Das hat Irmgard F. als junge Frau nicht gemacht. Deswegen trifft sie eine Mitschuld an dem Massenmord.
Der Prozess gegen die 97-Jährige dürfte einer der letzten gegen Helferinnen und Helfer des Nationalsozialismus gewesen sein. Neben der juristischen Berechtigung hat das Verfahren eine moralische Komponente. Auch mehr als 7 Jahrzehnte nach dem Holocaust darf das Leid, das Deutsche über Menschen anderer Religionen und Kulturen gebracht haben, nicht vergessen werden – besonders mit Blick auf die jüngsten rechtsradikalen Morde von Hanau und an dem Politiker Walter Lübcke. Staat, Justiz und Gesellschaft müssen wachsam bleiben.