Die Autos parkten auf dem Steinfelder Damm und in den Nebenstraßen, ein Fahrrad reihte sich vor dem Dorfgemeinschaftshaus ans andere, die Feuerwehr sicherte den Verkehr ab: Wer am frühen Dienstagabend in Handorf-Langenberg unterwegs war, der hätte durchaus den Eindruck gewinnen können, dass ein Popstar im Saal "Zum Schanko" auftritt. Dabei war der Festredner beim Grünkohlessen 2023 des CDU-Gemeindeverbandes Holdorf tatsächlich ein Politiker, der seit 2017 kein politisches Amt mehr inne hat. Aber gleichzeitig vielleicht noch immer zu den populärsten Christdemokraten überhaupt gehört: Wolfgang Bosbach.
Die Vorfreude auf den früheren Spitzenpolitiker und einige Zeit lang in Talkshows omnipräsenten Rheinländer – niemand hatte zwischen 2012 und 2016 mehr TV-Auftritte –, war in den vergangenen Wochen groß. Exakt 256 Karten konnte die CDU Holdorf verkaufen, die Tickets gingen von Neuenkirchen-Vörden bis nach Visbek. Und die Christdemokraten hätten "locker noch viel mehr Karten verkaufen können", wie Udo Schlarmann als Vorsitzender des Gemeindeverbandes erklärte. Holdorfs Bürgermeister Dr. Wolfgang Krug ergänzte scherzend, dass er sein Ticket auch auf dem Schwarzmarkt hätte anbieten können.
Bosbach greift in seiner Rede viele Themen auf
Mal ernst und mal witzig, mal nachdenklich und mal amüsant, dazu hin und wieder direkt mit dem Publikum interagierend: Wolfgang Bosbach sprach in seiner exakt 51 Minuten langen, freien und kurzweiligen Rede über die Demokratie und Innenpolitik, über Recht und Ordnung, über den Krieg in der Ukraine, über Gesundheit, Pflege und Rente als die größten Zukunftsherausforderungen, über Deutschland als Industrienation. Und der 70-Jährige, von der taz mal als "eitle Labertasche" bezeichnet, zeigte dabei die von den meisten Gästen wohl erhoffte klare Kante.
Das Publikum hatte der 70-Jährige, der von 1994 bis 2017 im Bundestag saß, in der "schwarzen CDU-Hölle" (Udo Schlarmann) direkt im Griff – indem er ein paar freundliche Seitenhiebe an die anwesenden Sozialdemokraten verteilte. Die SPD sei in dieser Wählerhochburg der Christdemokraten ja "nur Marktbegleiter, keine Konkurrenz". Und: "2 Stunden mit der CDU, das kann auch für jeden Sozialdemokraten nur hilfreich sein."
Doch bei diesen kleinen Sticheleien gegen die SPD beließ es Wolfgang Bosbach, von 2000 bis 2009 stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, dann auch. Er freue sich wirklich über jeden, der sich (kommunal-)politisch in demokratischen Parteien engagiere. Politik sei keine Mathematik, sondern der Kampf um die besseren Argumente. Eine klare Haltung werde honoriert – und am Ende kämpften alle Politiker eben auf den gleichen Baustellen.
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Alle Fotos: Vollmer und Böckmann
Wie beim Thema innere Sicherheit und Integration. Bosbach, der nach eigenen Angaben 250 Vorträge dieser Art im Jahr hält, sagte: "Wenn es hart auf hart kommt, wenn es Konflikte gibt, dann fallen wir der Polizei nicht in den Rücken. Dann stärken wir unsere Polizei." Und mit Blick auf die Bilder der Silvesternacht in Berlin erklärte er: "Ich verstehe nicht, warum wir uns, auch als Union, so schwer tun, die Dinge beim Namen zu nennen." Nämlich Zuwanderung und Migration.
Wenn Menschen unabhängig von Name, Hautfarbe, Religion und Staatsangehörigkeit friedlich und konfliktfrei miteinander leben wollten, "dann müssen ausnahmslos alle die gleiche Rechts- und Werteordnung einhalten. Und das kann nur die Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland sein." Darüber werde auch nicht verhandelt. Denn: „Wir müssen aufpassen, dass wir die wirtschaftliche, politische und soziale Stabilität des Landes nicht in Gefahr bringen.“
Bosbach sagte in diesem Zusammenhang auch dies: Die durch Zuwanderung entstehenden Probleme (Unterbringung, Kita-Plätze, Schulpflicht, medizinische Versorgung) würden nicht im Kanzleramt und im Reichstag gelöst werden, sondern in den Kommunen. Deshalb müsse der Bund die daraus resultierenden Kosten den Kommunen nicht zu 50 oder 60 Prozent, sondern zu 100 Prozent ersetzen, forderte er.
Verbale Ohrfeigen gegen die FDP ("100 Milliarden Schulden heißen nun Sondervermögen") und die Grünen ("Wenn die Union vor einem Jahr gesagt hätte, wir brauchen mehr Geld für die Bundeswehr, wäre das Militarisierung der Außenpolitik gewesen. Heute heißt es: aktive Friedenssicherung.") führten Bosbach zu einem anderen Thema. Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Soll Deutschland schwere Waffen in die Ukraine liefern? Bei dieser Frage sei er "hin- und hergerissen". Bosbach befürchtet jedenfalls einen "zähen, langen Angriffskrieg, mit Auswirkungen auf unser Land".
Gesundheit, Pflege und Rente als Herausforderungen
Kein Verständnis hat der Christdemokrat aus Bergisch Gladbach, wenn leidenschaftlich über das Gendern diskutiert wird. Oder die Frage eruiert wird, ob Indianer-Kostüme noch politisch korrekt sind. Dabei stehe Deutschland doch vor 3 großen Herausforderungen, über die die Politik elegant hinwegsehe, wunderte sich Bosbach.
Wie der Gesundheitspolitik, die Hälfte aller Krankenhäuser schreibe ja rote Zahlen. Wie dem Pflegenotstand, wo die Arbeitskräfte deutlich besser entlohnt werden müssen. Und wie dem Rentensystem, das zu kollabieren drohe. "Wie können wir das alles finanziell stemmen, wenn die Wirtschaftskraft in unserem Land nachlässt?", fragte Bosbach – und gab sich selbst die Antwort.
"Wir müssen uns dazu bekennen, Industrieland zu sein und Industrieland bleiben zu wollen." Wie das gelingt? Unter anderem durch Investitionen in das Bildungssystem, in die Köpfe der Schüler. "Wir müssen uns ändern, wir müssen schneller sein." Und trotzdem, bei allem Kummer, stellte Bosbach fest: "Es ist immer noch ein Glück in Deutschland geboren zu werden und zu arbeiten." Sprach es, setzte sich und erhielt danach Standing Ovations. Eben fast wie ein Popstar.