Vom politischen Shooting-Star zum gefallenen Engel: Manchmal ist es auch in der Politik vom Gipfel zum Sturz in den Abgrund nur ein winziger Schritt. Die Ex-Vizepräsidentin des Europaparlaments, die Griechin Eva Kaili, kann davon ein Lied singen. Doch bei allen Verdächtigungen, Vorwürfen und zum Teil auch schon erfolgten Vorverurteilungen: Für die 44-Jährige gilt, wie für jeden anderen Europäer auch, bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung. Und das gilt auch, obwohl sie in Untersuchungshaft bleibt.
Aber: Sollte auch nur ein Teil von dem zutreffen, wessen die Politikerin verdächtig ist, und sich ihre Unschuldsbeteuerungen als luftleere Hülse erweisen, so würde dies das ohnehin schon bei vielen heftig erschütterte Vertrauen in den Moloch Europäische Union weiter abbauen. Deswegen muss die EU ein fundamentales Interesse an einer lückenlosen Aufklärung dieses vermeintlichen Skandals haben.
Denn Korruption ist einer der schlimmsten Vorwürfe, deren sich ein Politiker oder eine ganze Behörde ausgesetzt sehen kann – egal, aus welchen Quellen das Geld oder die Wohltaten geflossen sind. Und bei der EU wiegt dieser Vorwurf noch einmal umso schwerer, weil hier so viele so schnell zum Beispiel die angebliche Korruption in Ungarn anprangern und mit dem Finger auf Viktor Orban zeigen. Sollte sich aber tatsächlich herausstellen, dass EU-Politiker bestechlich sind, dann wäre es an der Zeit, erstmal in Brüssel und Straßburg den großen Kehraus zu machen, bevor gegen andere die Moralkeule geschwungen wird.