Demokratie bedeutet Vielfalt. Das gilt nicht nur für die Gesellschaft, sondern insbesondere für ihre Repräsentanten: die Parteien inklusive ihrer Mitglieder. Je größer das Parteienangebot in einer parlamentarischen Demokratie, desto besser sollte sich das Volk vertreten fühlen.
Die Idealvorstellung schafft allerdings reale Probleme. In einem Sechs-Parteiensystem, das sich gegebenenfalls mit einer neuen Wagenknecht-Partei auf sieben ausweiten könnte, ist Unübersichtlichkeit programmiert. Im Gegensatz zu Zwei-Parteien-Staaten wie den sogenannten Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich, seinerzeit und bis heute zutiefst gespaltene Gesellschaften, gibt es in einem Mehrparteiensystem Alternativen, die bei Koalitionsverhandlungen sinnstiftend sind.
Vielfalt vereinfacht Regierungsbildungen nicht – siehe die gescheiterte Jamaika-Koalition (CDU/CSU-Grüne-FDP) 2017. Kommt eine Dreier-Koalition wie die Berliner Ampel zustande (SPD-Grüne-FDP), kann es mit Blick auf die Konsensfindung durchaus kompliziert werden – siehe die Kindergrundsicherung und das sogenannte Wachstumschancengesetz als jüngste Beispiele. Aber: Kompliziert war es schon immer, ganz gleich ob Zweier- oder Dreierbündnis. Demokratie bedeutet Diskurs, Streitbarkeit. Und vor allem eins: Wehrhaftigkeit.
Kompromisse finden und gleichzeitig das Gesicht wahren
Obschon das Mehrparteiensystem eine Alternative zum Dualismus der USA und Großbritanniens ist, tun sich in Krisenzeiten Alternativen auf, die buchstäblich keine sind. Sie nähren sich vom Zwist der Regierenden, der Reaktion der Oppositionsparteien, die häufig in Selbstzerstückelung mündet. Agieren müssen sie kaum. Sie profitieren stillschweigend vom vermeintlichen Unvermögen der anderen. Die Schuld liegt allerdings auch bei den Wählern, die, ob wissentlich oder nicht, in Kauf nehmen, einer Rechtsstaat-feindlichen Partei ihre Stimme zu geben.
In einer zunehmend komplexer werdenden Welt, die vor großen Herausforderungen in jeglicher Hinsicht steht, sind Mehrparteien-Koalitionen besonders gefordert. Sie müssen Kompromisse finden, die ob der Gleichzeitigkeit der Dinge extrem schwierig zu finden sind, wenn die Koalitionspartner ihr Gesicht gegenüber der eigenen Klientel wahren und obendrein eine Lösung bieten wollen, die den Bürgern Sicherheit in unsicheren Zeiten gibt. Und das alles unter dem Druck der demokratischen und demokratiefeindlichen Opposition, die auf jeden Fehltritt der Regierenden lauert, um sich selbst in Position zu bringen.
"Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind."Winston Churchill
Aber macht dieses vermeintliche Wirrwarr, das diskutable, streitbare und zum Teil zwingend erforderlich Wehrhafte eine Gesellschaft nicht erst vielfältig? Liegt in der Schwierigkeit, Kompromisse zu finden, nicht das entscheidende Moment für Demokratie?
Ein Blick auf die USA und Großbritannien zeigt: Die Wahl zwischen Tories und Labour, zwischen Republikanern und Demokraten, hat die Spaltung der Gesellschaft nicht aufgehalten – im Gegenteil. In Mehrparteiendemokratien ist damit nicht alles automatisch besser. Aber es ist eine deutlich bessere Chance, Demokratie zu leben. Auch wenn es kompliziert ist. Winston Churchill wusste das: "Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind."