Er wolle Frieden, Freiheit und Stabilität für die Welt, erklärte Wladimir Putin in seiner Rede zum "Tag des Sieges". Der russische Präsident sagte das ohne den geringsten Anflug von Scham – angesichts des brutalen Krieges, den er ein Jahr zuvor in der Ukraine ausgelöst hatte. Auch wenn die Rede an das eigene Volk gerichtet war, macht ihr Inhalt fassungslos. Bei Putin gehört das Verdrehen der Wahrheit zum Programm.
Die Erinnerung an den Sieg über Nazi-Deutschland ist seit Jahrzehnten Teil der russischen DNA. Hitlers Traum vom Lebensraum im Osten wurde für die Völker der damaligen Sowjetunion zum Alptraum. Um sich von ihm zu befreien, mussten Millionen Russen, Belarussen, Ukrainer und andere ihr Leben lassen. Indem Putin aber seinen eigenen Eroberungskrieg als Weiterführung des gerechten Kampfes gegen den Nazismus rechtfertigt, schmälert er das Opfer dieser Weltkriegsgeneration. Deren letzte Vertreter sahen – wie immer ordensgeschmückt – dem militärischen Aufmarsch zu. Sie dürften noch viele der an ihnen vorbei marschierenden Soldaten überleben, für die es nach der Parade an die ukrainische Front gehen wird.
Mit seiner durch und durch verlogenen Rede stimmte Putin sein Volk erneut auf den Abwehrkampf gegen den verhassten Westen ein, dem er eine „Ideologie der Überheblichkeit“ vorwirft. Warum Russlands Machthaber von einem derartigen Minderwertigkeitskomplex besessen ist, können nur Psychologen erklären. Für die Ukraine bedeuten die Tiraden nichts Gutes. Europa muss jetzt alles dafür tun, damit sie nicht zur Beute dieses faschistoiden Systems wird.