Das Nachrichtenportal vonMünsterländische Tageszeitung MT undOldenburgische Volkszeitung OV

Giffey und Wegner: Überlebenskünstlerin und Platzhalter?

Thema: Regierungsbildung in Berlin – Franziska Giffey (SPD) ist ein Selbstinszenierungswunder. Womöglich wird ihr das in den kommenden Jahren zugute kommen – je nachdem, wie sich die CDU anstellt.

Artikel teilen:

Eines muss man Franziska Giffey (SPD) lassen: Sie weiß, wie sie sich trotz Niederlage als Siegerin inszeniert – sowohl menschlich als auch politisch.

Ersteres hatte die Sozialdemokratin eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als sie trotz Aberkennung ihres Doktortitels dank eines "Flickenteppichs an Plagiaten" das Amt der Bundesfamilienministerin zurückgab, um alles auf eine Karte zu setzen: Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Dass trotz SPD-Hochburg in der Hauptstadt hinter dieser Aktion eine gehörige Portion Mut steckte, war damals schon auf Gegenkandidat Kai Wegner (CDU) zurückzuführen. Denn der Christdemokrat hatte sich bereits seit Wochen im Wahlkampf befunden, um nach knapp 20 Jahren einen Machtwechsel einzuläuten. Der Erfolg für die CDU blieb jedoch vorerst aus.

"So schnell konnte Giffey öffentliche Kritik nicht erschüttern. Und genauso unverfroren nahm sie das Amt der Regierenden Bürgermeisterin Berlins mit guter Laune auf"Max Meyer, Redakteur

Stattdessen machte Giffey das Unmögliche möglich: Sie wendete ihren politischen Tod trotz gefälschter Doktorarbeit ab, anders als Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Er hatte brillante Umfragewerte, die Plagiatsvorwürfe kosteten ihn trotzdem seine politische Karriere, ähnlich wie Ex-Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) oder Ex-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin (FDP). 

Giffey allerdings konnte die öffentliche Kritik nicht zu schnell erschüttern. Und genauso unverfroren nahm sie das Amt der Regierenden Bürgermeisterin Berlins mit guter Laune auf. Sie verbesserte das Leben Geflüchteter, setzte sich sogar für das Handwerk ein. Allerdings blieben ihre Erfolge in der kurzen Amtszeit übersichtlich. Viel mehr sorgte sie für Chaos: Sie schuf keine Verbesserung auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Die Verwaltung ist gescheitert, an Digitalisierung ist nicht mal zu denken. Die Schulpolitik ist desaströs. Im Verkehr dreht sich vieles im Kreis. Berlin ist und bleibt das Aushängeschild für alles, was falsch laufen kann. Und dann kam auch noch die Wahlpanne und Wiederholungswahl.

Wie sehr sich Giffey am Wahlabend mit dem historisch schlechten Ergebnis der SPD noch selbstbewusst an den Erhalt eines rot-rot-grünen Bündnisses klammerte (das nie ihr Favorit war, sie wollte immer eine Ampel für Berlin), machte klar, wie schlecht sie sich die unzähligen Verfehlungen zur Wahl und ihres Regierungsstils eingestehen konnte. Trotz klaren Machtwechsels nach Wählerwillen steuerte sie geradewegs zu auf Hass und Häme der Berliner – und das bei einem Platz 2, der mit 53 Stimmen mehr gegenüber den Grünen entschieden wurde.

Die Sozialdemokratin ist in Berlin noch lange nicht fertig

Und doch hat Franziska Giffey es erneut geschafft, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der einst sehr rechts wirkende, aber mittlerweile etwas gemäßigtere Kai Wegner hat wohl als künftiger Regierender Bürgermeister Berlins seinen Teil dazu beigetragen. Ein schwarz-grünes Regierungsbündnis hätte der Hauptstadt womöglich gut getan. Stattdessen sah Wegner mehr Schnittpunkte mit den Sozialdemokraten. Und gerade dort liegt wieder Giffeys Verhandlungsgeschick. Sie geht trotz Wahlniederlage als Siegerin hervor, auch wenn sie ihren Posten als Regierende Bürgermeisterin Berlins an den Koalitionspartner abgeben muss.

Die Sozialdemokratin ist in Berlin noch lange nicht fertig. Sie selbst wird versuchen, sich einige Befugnisse einzuräumen. Und wer weiß: Bei ihrem Geschick der Selbstinszenierung schafft sie es womöglich, die CDU im eigentlich Roten Rathaus weiter wie einen Fremdkörper aussehen zu lassen, um 2026 Wegner als Platzhalter zu verdrängen. Es wäre nicht das erste Mal.

So verpassen sie nichts mehr. Mit unseren kostenlosen Newslettern informieren wir Sie über das Wichtigste aus dem Oldenburger Münsterland. Jetzt einfach für einen Newsletter anmelden!

Das könnte Sie auch interessieren

Hier klicken und om-online zum Start-Bildschirm hinzufügen

Giffey und Wegner: Überlebenskünstlerin und Platzhalter? - OM online