Wie nach 16 Jahren unter der Führung Helmut Kohls hadern die Christdemokraten nun damit, in der Post-Merkel-Ära eine klare Linie zu finden. Die Partei ist in sich gespalten. Ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz fällt es schwer, die verschiedenen Flügel wieder zu vereinen.
Die Gründe für die Zerstrittenheit der CDU liegen weit zurück. Der schleichende Abstieg der CDU-Vormachtstellung setzt bereits im Jahr 2015 ein. Als Merkel in ihrer dritten Amtszeit – ganz im Sinne des christlichen Prinzips der Nächstenliebe – ihr "Wir schaffen (auch) das" äußerte und Deutschlands Willkommenskultur demonstrierte, fühlten sich etliche treue Anhänger des Konservativismus vor den Kopf gestoßen.
Als dann 2018 die erste Jamaika-Koalition (CDU, Grüne und FDP) im Bund hauptsächlich wegen Christian Lindner (FDP) scheiterte, schlitterte die letzte Legislaturperiode der Dauer-Kanzlerin in eine weitere Große Koalition – charakterisiert durch wenig Furore und verwalten statt gestalten. Nicht die beste Ausgangsposition, um einen Nachfolger zu positionieren. Die Rolle übernahm NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der mit sich und der Verantwortung, die seine Kandidatur mit sich brachte, sichtlich überfordert war.
"Nach der verlorenen Bundestagswahl war klar: Die CDU muss auf links oder eher auf rechts gezogen werden."Max Meyer
Laschet schien innerhalb weniger Monate all das einzureißen, was unter 16 Jahren Angela Merkel mühselig aufgebaut wurde: Vertrauen und Kontinuität. Doch das bezog sich schlussendlich nur noch auf die Kanzlerin und weniger auf die Partei, der es an konservativen Inhalten und Linie fehlte, wodurch letztlich mitunter auch die AfD abseits anderer Faktoren wie anfangs der Euro-Krise (2010) erwuchs.
Und vielleicht wegen dieses Personenkults um Angela Merkel blieb auch nur ein Bild von Armin Laschet in Erinnerung, das ihm womöglich die Kanzlerschaft kostete: ein deplatziertes Lächeln während einer Pressekonferenz im von der Jahrhundertflut geplagten Ahrtal. Wohlgemerkt: Wenige Sekunden zuvor hatte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Kamera gelacht. Die Medien und ihre Wirkkraft.
Nach der verlorenen Bundestagswahl war klar: Die CDU musste entweder auf links oder eher auf rechts gezogen werden. Jedenfalls ging es mit Laschet nicht weiter. Der heute "nur noch" Bundestagsabgeordnete akzeptierte sein Schicksal und wich für Friedrich Merz. Als "einfacher" Bundestagsabgeordneter ist der gebürtige Aachener wieder auf seinem politischen Kurs und fällt durch konstruktive Beiträge positiv in der CDU-Fraktion auf.
Auf der Suche nach der eigenen Linie
Ganz im Gegenteil zum Kopf der Partei: Friedrich Merz. Und das, obwohl mit ihm in den Reihen der Christdemokraten so etwas wie Aufbruchsstimmung und Hoffnung herrschte. Hoffnung auf stabile Umfragewerte über der 30-Prozent-Marke. Hoffnung auf eine klare Abgrenzung zur SPD-geführten Ampelkoalition. Hoffnung auf eine weiterhin feste Brandmauer gegen Rechts und ein kategorisches Nein zu einer Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland. Hoffnung auf eine Wiedergeburt des Konservativismus.
An einigen Stellschrauben musste Merz wenig drehen. Das verkorkste Heizungsgesetz der Ampelregierung, das nun wesentlich nachgebessert wurde, war Wasser auf die Mühlen einer Partei, die mittlerweile wieder lieber auf Atomkraft denn Wärmepumpen setzen will. Allgemein: Technologieoffenheit, Markt statt Regulierung, verbunden mit Anreizen. Mit Blick auf die Energiepolitik hat es Merz geschafft, die CDU klar zu positionieren und von der Ampel abzugrenzen. Die Christdemokraten haben die Sorgen zahlreicher Bürger ernst genommen und sind in diesem Punkt ihrer Rolle als stärkste Kraft in der Opposition gerecht geworden. Echte Alternative statt plumper Parolen.
Wäre da nicht das berühmte "Aber". Leider verfällt der CDU-Vorsitzende immer wieder plumpem Populismus. Das gilt sowohl für sein Bestreben um die Gunst von AfD-Wählern als auch für seine Kritik an der Ampelkoalition.
Beispiele: Die CDU will sich nicht nur als Opposition zur Ampel verstehen. Sie will auch die bessere Alternative als die Alternative für Deutschland sein. Und genau hier liegt der Fehler der Merzschen Denke. Wer sich AfD-Parolen bedient, grenzt sich nicht von der AfD ab, sondern vermischt die eigenen Positionen mit denen des eigentlichen Feindes, den es zu bekämpfen gilt.
Wenn das Thema Gendern wirklich einer der ausschlaggebenden Gründe ist, dass die Bürger ihr Kreuz bei der AfD machen, dann spricht das nicht unbedingt für den durchschnittlichen Wähler. Falls dem so ist, mag Merz These richtig sein. Dennoch argumentiert er gleich wie die AfD. Diese Art des Populismus hat der CDU-Vorsitzende nicht nötig. Seine Berater täten gut daran, ihm solche Floskeln auszutreiben.
Das Unterlassen plumper Parolen käme Merz ebenfalls in seiner Kritik an der Ampel-Koalition zugute. Wenn der CDU-Vorsitzende indirekt behauptet, die Züge der Deutschen Bahn seien unter 16 Jahren Merkel jemals pünktlich gewesen, es habe nie ein Mangel an Kitaplätzen geherrscht und die Digitalisierung sei bis zum Maximum vorangetrieben worden (aber wohl schlussendlich von der Ampel wieder gestoppt worden?), dann wirft das kein gutes Licht auf die eigene Argumentation. Vielmehr offenbart es, wie verzweifelt der CDU-Chef mit dem Finger auf andere zeigt und die Realität dabei aus den Augen verliert.
Der Ton macht die Musik
Nach dem Debakel um Armin Laschet hätte man den Beratern der CDU zutrauen können, in Sachen Sprache, Gestik und Mimik schlauer geworden zu sein. Das scheint beim Team von Friedrich Merz nicht der Fall zu sein.
Die Beratungsresistenz hat offenbar längst Einzug auf gesamtparteilicher Ebene gehalten – oder wie ist der Auftritt der ehemaligen Profi-Eisschnellläuferin Claudia Pechstein auf dem CDU-Generalkonvent in Polizeiuniform zu erklären? Im Sinne der Neutralitätspflicht kann das ganz bestimmt nicht sein. Und obendrein ist es mehr als fragwürdig, eine Frau sprechen zu lassen, die in der Vergangenheit nicht gerade mit Fingerspitzengefühl brilliert hat – genauso wie jetzt auf der CDU-Veranstaltung. Ähnlich wie Merz ließ sie im AfD-Sprech die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern verlauten, befürwortete ein traditionelles Familienbild und stellte das Gendern infrage. Muss die CDU Menschen mit solchen Positionen hofieren, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen? Friedrich Merz sieht das offenbar so:
Die CDU scheint sich gerade immer mehr in die falsche Richtung zu bewegen. Dabei wäre es so einfach, weitere eigene Inhalte zu schaffen, die überzeugen. Ein eigenes starkes Argument wiegt mehr als jede Form der Schuldzuweisung. Und den richtigen und wichtigen Aussagen, keine gemeinsame Sache mit der AfD machen zu wollen, keinen Abbruch zu tun, indem man versucht, mit einer ähnlichen Sprech-Art den "Blauen" Wählerstimmen abzugraben.
Eine starke CDU, so wie unter Helmut Kohl oder Angela Merkel, steht für sich. Sie muss die bestmöglichen Lösungen fürs Land bieten, die Stimme des Volkes hören, ohne populistische Antworten zu geben auf Sachverhalte, die nicht einfach zu klären sind. Sie muss ihren demokratischen Kurs wahren und innerparteiliche Flügel vereinen. Wer geschlossen steht, ist nach außen stärker. Und manchmal ist es besser, weniger zu sagen, als das Falsche. Gerade in diesem Punkt könnte Merz noch viel von Merkel lernen. Der Ton macht schließlich die Musik.