Krieg und Antisemitismus scheinen unausrottbar. Diese Erfahrung müssen wir leider in diesen Tagen machen. Wenn ein Diktator ankündigt, sein Nachbarland "entnazifizieren" zu wollen, dessen frei gewählter Präsident jüdisch ist und einen Teil seiner Familie im Holocaust verloren hat, steckt dahinter ein teuflisches Kalkül. Laut Yale-Professor Jason Stanley appelliert Putin bewusst an die Mythen des zeitgenössischen osteuropäischen Antisemitismus. Demnach sind die wahren Opfer der Nazis nicht die Juden gewesen, sondern die russischen Christen.
Der Putinismus hat auch im Westen Anhänger gefunden. Vor allem unter Rechtsextremen. Russische Fahnen wurden auf Corona-Demos geschwenkt. Denselben Kundgebungen, auf denen Davidsterne mit der Aufschrift "ungeimpft" zu sehen waren. Kein Wunder also, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren, die wegen Judenfeindlichkeit eingeleitet wurden, im Laufe der Pandemie gestiegen sind. Wobei die meisten Vorfälle gar nicht in den Akten der Juristen landen. Weniger als ein Viertel kämen überhaupt zur Anzeige, berichtet die EU.
Offenbar fällt es Staatsanwälten, Richtern und Polizisten noch immer schwer, eine antisemitisch motivierte Straftat als solche zu erkennen. Das muss sich ändern. Der neue Leitfaden könnte eine nützliche Hilfe sein. Tatsächlich ist es nicht einfach, sich in der kruden Symbolwelt von Neonazis und Islamisten zurechtzufinden. Der Kampf gegen den Antisemitismus bleibt letztlich aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wer ihn aufnimmt, stärkt unsere Demokratie und trägt zum Erhalt des Friedens bei.