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Ein Plädoyer für den Zweifel

Politische Diskussionen sind von der Überzeugung geprägt, recht zu haben. Dabei gibt es kaum je die einzige richtige Lösung. Das einzugestehen, wäre ein Fortschritt.

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Man möchte derzeit kein Politiker, keine Politikerin sein. Der immer stärker werdende Frust auf "die da oben", der sich insbesondere in den unsozialen Netzwerken entlädt, ist nur ein Grund dafür. Man muss schon ein besonders dickes Fell haben oder maximal arrogant und ignorant sein, um angesichts der Wut, der Beschimpfungen nicht zu verzweifeln.

Auffallend ist, dass die Internet-Trolle immer genau wissen, wie es geht – egal was. In deren Kosmos gibt es sie, die eine, einfache Lösung. Politiker hingegen, so wird suggeriert, seien entweder zu blöd, das zu erkennen, oder aus wahlweise ideologischen oder machttaktischen Gründen unwillig, das zu akzeptieren.

So ganz aber, und das ist das eigentlich Problematische an dem Thema, sind auch Politikerinnen und Politiker nicht vor diesem Verhaltensmuster gefeit. Auch wenn sie sich meist intelligenter äußern, lassen sie doch erkennen, dass es, wofür auch immer, nur eine Lösung gibt: ihre. Nehmen wir ein letztlich winziges Detail im Rahmen der an Komplexität nicht zu überbietenden Klimaproblematik. Nehmen wir das Heizungsthema.

Lindner wird auch Schwächen seines Ansatzes kennen – und akzeptieren

Robert Habeck wird sehr wohl wissen, dass das Gebäudeenergiegesetz (GEG) voller Mängel steckt, dass es von der sozial-, arbeitsmarkt- und finanzpolitischen Realität ebenso ausgebremst wird wie vom Markt, der die entstehenden Bedarfe derzeit nicht decken kann. Er hat lange gebraucht, bis er das eingestanden hat.

Genauso dürfen wir davon ausgehen, dass Christian Lindner die Schwächen seines marktorientierten Ansatzes, wonach eine CO₂-Bepreisung alles richten werde, kennt und auch akzeptiert. Ganz abgesehen davon, dass schon die Festlegung einer CO₂-Bepreisung ein – von ihm eigentlich abzulehnender – staatlicher Eingriff in den Markt ist, wird auch er wissen, dass die Politik den Markt hier nicht alleine agieren lassen kann. Das nämlich würde dazu führen, dass im Winter, wenn der Bedarf an Energie hoch ist, heizen für viele Menschen nicht mehr finanzierbar wäre. Entweder deckelt dann die Politik – Achtung, Markteingriff – den CO₂-Preis oder die Menschen stehen vor dem gleichen Problem wie bei der Einführung des GEG: Es gibt weder genug Geräte noch genug Handwerker für all die dann erstrebenswert erscheinenden Wärmepumpen. Und viele würden sich die Umrüstung dann auch oder erst recht nicht leisten können. Kurz: Es gibt hier kein vollkommen richtig und kein vollkommen falsch. Zweifel am eigenen Ansatz sind nicht nur richtig, sie sind wichtig.

"Egal welche These man vertritt: Es wird immer eine ebenso gut begründete andere Meinung geben. Zweifeln ist angesagt."Heiner Stix

Das Gleiche gilt für die Krankenhausreform. Das einzige, worauf sich alle einigen können, ist, dass es hierzulande zu viele Krankenhäuser gibt. Aber wie viele geschlossen werden müssen, vor allem aber welche und wo, darüber gibt es so viele Meinungen wie Beteiligte. Und alle haben sie gute Argumente. Kleine Krankenhäuser sind nicht per se schlecht, große, gar private, sind nicht automatisch toll. Marktanreize funktionieren in einem System der Daseinsvorsorge nicht allein, staatlicher Dirigismus auch nicht. Ärzten und Krankenhausmanagern liegt das Schummeln bei Abrechnungen nicht in der beruflichen DNA, beide aber sind auch nicht immer und von Haus aus Heilige. Egal welche These man vertritt: Es wird immer eine ebenso gut begründete andere Meinung geben. Zweifeln ist angesagt.

Man kann das beliebig fortsetzen: Niemand wird im Umgang mit flüchtenden Menschen eine Lösung finden, die für alle Beteiligten und Betroffenen perfekt ist. Und auch für die Bekämpfung der Inflation, für die Bildungsmisere, den Fachkräftemangel, die Landwirtschaftspolitik gilt: Egal welche Lösung man vorschlägt, man muss den begründeten Zweifel an der Richtigkeit akzeptieren.

Robert Habeck hat im Wahlkampf mit seiner oft suchenden Tonart einen anderen Politiker-Typus skizziert. Als Minister hat er sich davon wieder abgewandt. Vielleicht würden Politiker und Politikerinnen, die ihre – sicherlich vorhandenen – Zweifel öffentlich artikulieren und austauschen, den Trollen etwas den Wind aus den Segeln nehmen, zumindest aber die politische Kultur verbessern, die Debatte entschärfen. Vielleicht. Denn auch hier gibt es keine Sicherheit, keine vollkommen richtige und falsche, nicht die eine Lösung.

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