Ein Glas schadet doch nicht
Kolumne: Ein Feierabendbier, ein Glas Sekt auf dem Empfang, ein Glas Wein mit der besten Freundin – Alkohol gehört zu unserem Alltag dazu. Dabei ist unser Umgang damit geradezu naiv.
Carina Meyer | 06.02.2023
Kolumne: Ein Feierabendbier, ein Glas Sekt auf dem Empfang, ein Glas Wein mit der besten Freundin – Alkohol gehört zu unserem Alltag dazu. Dabei ist unser Umgang damit geradezu naiv.
Carina Meyer | 06.02.2023
Der Dry January ist vorbei. Für die meisten von uns war er ohnehin nie gestartet. Falls Sie nicht einmal wissen, um was es sich handelt: Ziel der Aktion ist es, einen Monat lang – also den Januar – komplett auf Alkohol zu verzichten. Alkoholverzicht ist hierzulande sowieso Definitionssache. Wer kennt nicht den Spruch auf der Party, zu der man mit dem Auto angereist ist: „Einer geht doch.“ Sollte man nicht vorhaben, mit dem Auto nach Hause zu fahren, erntet der Alkoholverzicht erst recht absolutes Unverständnis. „Komm, erstmal einen zum Anstoßen“, heißt es dann, ganz nach dem Motto „einer ist keiner“. Ist der zunächst unwillige Gast angefixt, füllen sich die Gläser fast wie von selbst nach. Sollte man jedoch standhaft bleiben, fangen die Spekulationen an. Frauen zwischen 20 und 40 Jahren wird da beispielsweise schnell eine Schwangerschaft unterstellt. Schieben wir die Übergriffigkeit der Nachfrage mal beiseite und beleuchten den positiven Effekt: Alkohol in der Schwangerschaft ist gesellschaftlich verpönt und das ist gut so. Sollte frau die Frage aber verneinen, braucht sie geradezu die Fähigkeiten von Neo aus „Matrix“, um dem Sektglas, das ihr gereicht wird, auszuweichen. Ich habe einem besonders penetranten Fremden gegenüber mal behauptet, dass ich trockene Alkoholikerin sei und wünsche, dass es so bleibt. Der Fremde blieb ein Fremder. Aber wieso bedarf es so viel Mühe und in meinem Beispiel sogar einer Lüge? „In der Gesellschaft herrscht eine weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol vor“, heißt es da beim Bundesgesundheitsministerium. Oder anders formuliert: Der gemeinsame Alkoholgenuss ist in unserer Gesellschaft ein Ausdruck von Geselligkeit. Verweigere ich mich dem, gelte ich als ungesellig. Dabei ist das natürlich Quatsch. Es könnte so einfach sein. Sollte der Gast keinen Alkohol trinken wollen, wäre die beste Strategie, das Gespräch folgendermaßen fortzuführen: „Okay, was kann ich dir stattdessen anbieten?“ Vor allem würde die alkoholfreie Alternative vielen von uns gut tun. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums, das sich auf die jüngsten Ergebnisse (2021) des Epidemiologischen Suchtsurveys beruft, konsumieren 7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Ein problematischer Alkoholkonsum liegt bei etwa 9 Millionen Personen dieser Altersgruppe vor. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) von 2017 hat ermittelt, dass 14 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer Alkohol in „gesundheitlich riskanten Mengen“ trinken. Was heißt das eigentlich? Besagter Studie zufolge liegen die Grenzwerte für eine riskante Alkoholtrinkmenge bei durchschnittlich mehr als 10 bis 12 Gramm Reinalkohol pro Tag für Frauen und 20 bis 24 Gramm für Männer. Das ist immer noch recht abstrakt. Zur Veranschaulichung: Ein kleines Glas Bier oder ein Glas Sekt enthält jeweils etwa 10 bis 12 Gramm Alkohol. Eine weitere RKI-Studie aus demselben Jahr hat ermittelt, dass 25 Prozent der Frauen und 43 Prozent der Männer mindestens einmal im Monat sogenanntes Rauschtrinken praktizieren, also mehr als 60 Gramm reinen Alkohol zu sich nehmen. Das sind unserem Beispiel folgend etwa 6 Gläser Bier an einem Tag. Wie es um den eigenen Konsum bestellt ist, kann ja jeder selbst grob überschlagen. Regelmäßiges Rauschtrinken hat natürlich gesundheitliche Folgen. Die Grenzen zum Alkoholismus verschwimmen schneller, als man glaubt. Unsere hohe gesellschaftliche Toleranz für Alkoholkonsum hat zur Folge, dass das eigene Risiko gerne unterschätzt wird. Vielleicht lohnt sich das Experiment. Wer den Dry January verpasst hat, versucht es vielleicht mit einem Dry March?"Der gemeinsame Alkoholgenuss ist in unserer Gesellschaft ein Ausdruck von Geselligkeit. Verweigere ich mich dem, gelte ich als ungesellig."Carina Meyer
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