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Die Sozialdemokraten: Zwischen Stolz und Niedergang

Thema: Die SPD hat ihren 160. Geburtstag gefeiert – Es sei ihr gegönnt. Allein auf das Alter der Partei sollten sich die Genossen aber nicht allzu viel einbilden.

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Dass die SPD, wie am Dienstag geschehen, nun schon halbrunde Geburtstage mit Pomp feiert – konkret war es der 160. – sei ihr gegönnt. Sie ist nun einmal die einzige Partei in Deutschland, die auf eine so lange Geschichte zurückblicken kann. Allerdings sollten sich die Sozialdemokraten auch nicht allzu viel darauf einbilden. Andere Parteien hatten andere Bedingungen – oder entstanden wie die Grünen einfach sehr viel später.

Bei der Veranstaltung in der Berliner Parteizentrale wurde an vieles erinnert: An den Kampf um die sozialen Rechte der Arbeiter, das Frauenwahlrecht, den Widerstand gegen Hitler, die Ostpolitik. Eines fehlte in der stolzen Rückschau: Die Wahlkurve der letzten 50 Jahre. 1972 erreichte die SPD 45,8 Prozent. 2021 waren es nur noch 25,7. Der Niedergang verläuft fast linear. In einigen Bundesländern ist man schon einstellig. Und das Schicksal ruhmreicher Schwesterparteien in Frankreich, Italien, Holland oder Schweden zeigt: Alter schützt nicht vor dem Absturz.

"Soziale Reformen, vom Mindestlohn bis zur Kinderbetreuung, werden gerne mitgenommen. Aber politisch dann kaum belohnt. So wie auch der Wert von Demokratie und Freiheit nicht mehr von jedem gesehen wird. Alles selbstverständlich."Werner Kolhoff

Mit den Themen Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Demokratie, Freiheit und Frieden hatte die SPD von Anfang an große Menschheitsfragen am Start. Und sie hat viel erreicht. Doch viele Arbeitnehmer empfinden ihren Wohlstand heute nicht mehr als Ergebnis kollektiver Kämpfe, schon gar nicht längst vergangener, sondern als ihre individuelle Leistung. Sie wollen vom Staat nicht behelligt werden, weder mit Steuern noch mit Klimavorgaben.

Diese Gruppe wählt zur Strafe sonst durchaus auch mal rechtsradikal. Die prekär Beschäftigten und die Internet-Nomaden kämpfen sich sowieso als Vereinzelte durch. Außerdem gibt es neue Themen wie die Umwelt, bei denen die SPD nicht so gut aussieht. Soziale Reformen, vom Mindestlohn bis zur Kinderbetreuung, werden gerne mitgenommen. Aber politisch dann kaum belohnt. So wie auch der Wert von Demokratie und Freiheit nicht mehr von jedem gesehen wird. Alles selbstverständlich.

Man könnte auch sagen: Ein bisschen wird die SPD auch zum Opfer ihrer eigenen Erfolge. Aber das ist generell das Schicksal der Volksparteien, denen letztlich Deutschlands Stabilität und Wohlstand zu verdanken ist. Die Wahlkurve der Union ist ja nicht besser: 44,9 Prozent im Jahr 1972, zuletzt nur noch 24,1. Vielleicht war auch das ein Grund für die SPD, die 160 Jahre so groß zu feiern. Wer weiß, wie viele es noch werden.


Zur Person:

  • Der Lohner Werner Kolhoff, Jahrgang 1956, hat für den Berliner Tagesspiegel und die Berliner Zeitung gearbeitet, war Sprecher des Berliner Senats und leitete ein Korrespondentenbüro.
  • Heute ist er in der Hauptstadt als politischer Kolumnist tätig.

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