Einen Geschichtsunterricht der etwas anderen Art erlebten zuletzt die Zehntklässler der Cloppenburger Oberschule Marienschule. Der Stasi-Zeitzeuge Rainer Dellmuth, der auch als Referent für politische Bildung an der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen tätig ist, gab Einblicke in das Leben in der DDR.
Zu Beginn gab es einen kurzen geschichtlichen Abriss der Aufteilung Deutschlands zwischen den Besatzungsmächten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dann folgten die Gründung der DDR und die Bildung der SED, der Einparteiendiktatur. Unter Einbeziehung seiner eigenen Biografie beschrieb Dellmuth anschaulich die Überwachungsstrukturen des Ministeriums für Staatssicherheit, kurz Stasi, und das Leben in der ehemaligen DDR, welche den Schülern nur noch aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist.
Dellmuth wurde mehrfach verhaftet
Rainer Dellmuth wurde 1948 in Berlin geboren. In der DDR erzogen ihn seine Eltern nach christlichen und demokratischen Wertvorstellungen. Als 17-Jähriger geriet er durch „staatsgefährdende Äußerungen“ in das Visier der Stasi. Der damalige Realschüler begann eine Lehre als Drucker im grenznahen Osten von Berlin, doch schon bald musste er seine Tätigkeit unterbrechen, da er 1967 wegen „hetzerischer Äußerungen“ zu einem Jahr Haft verurteilt wurde.
Nach seiner Haftentlassung 1968 beendete er seine Lehre und entschied sich, Abitur zu machen. In der 12. Klasse wurde er erneut wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schwerem Fall“ verhaftet. Dellmuth wurde mit dem „Grotewohl-Express“, dem Gefangenensammeltransportwagen der Deutschen Reichsbahn, einem zu DDR-Zeiten speziellen Reisezugwagen zur Verlegung von Gefangenen, von Jena über Gera nach Berlin transportiert und dort im Bereich des Alexanderplatzes inhaftiert. Diese Reise bezeichnet er als die schrecklichste Fahrt seines Lebens, da er sich auf engstem Raum mit Kriminellen den Platz teilen musste. Im November 1972 schob man Dellmuth im Zuge des Häftlingsfreikaufs in die Bundesrepublik ab. Bis dahin war seine Stasi-Akte auf über 1000 Seiten angewachsen.
Zeitzeuge nimmt kein Blatt vor den Mund
Wenn es zunächst Anfang der 1960er Jahre noch körperliche Gewalt in der DDR gegenüber den Gefangenen gegeben hatte, so wurde in späterer Zeit nur Psychologie angewandt, um den Willen des Einzelnen zu brechen, zu zersetzen. Diese Form der Gewalt sei nicht nachweisbar gewesen. Die eigene Meinung war nicht gefragt und, so Rainer Dellmuth, „Big Brother“ habe rund um die Uhr mitgehört. Unbedachte Äußerungen konnten einen Menschen schnell in Bedrängnis bringen. Es folgte eine Haftstrafe, wobei die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden.
Der Zeitzeuge nahm bei seinem Vortrag kein Blatt vor den Mund. Ob Uniformierung, der Aufstand des 17. Juni oder der Mauerbau, der 75-Jährige sprach alle Themen an. Abschließend verwies er darauf, dass es auch heute noch Diktaturen in der Welt gibt. Die Jugendlichen forderte er auf, die Demokratie zu schützen, denn sie sei das höchste politische Gut.
Appell an die Jugendlichen
Am Ende seiner Ausführungen appelliert der Zeitzeuge an die Schülerinnen und Schüler, sich weniger von Äußerlichkeiten und Materialismus blenden zu lassen, sondern den Charakter eines Menschen als das einzig Wichtige zu sehen. Nur das Wesen des Menschen zähle, und da solle sich ein jeder Mensch täglich selbst überprüfen. Die Jugendlichen der Marienschule zeigten sich sichtlich beeindruckt von den Schilderungen des Zeitzeugen.