Das Nachrichtenportal vonMünsterländische Tageszeitung MT undOldenburgische Volkszeitung OV

Wo das Wünschen noch geholfen hat

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Was haben eigentlich Wünsche und Märchen gemeinsam?

Artikel teilen:

„In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat …“. So beginnt das Märchen „Der Froschkönig“ und mit ihm das bekannteste Märchenbuch der Welt, die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm. Weil die aber einen besonders schönen Einstieg in die Märchenwelt suchten, übernahmen sie für das Anfangsmärchen den ersten Satz eines kaum bekannten Märchens, es heißt „Der Eisenofen“.

„In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat…“ Eine sehr märchenhafte Einstimmung. Und völlig unrealistisch. Wie sollten Wünsche helfen? Ich habe mir oft gewünscht, Harfe spielen zu können. Doch keine Fee ist gekommen und hat meinen Wunsch erfüllt. Und ich habe nie so fest gewünscht, dass ich Unterricht genommen und fleißig geübt hätte.

Wünsche aber, die uns nicht bewegen, helfen weder im Leben noch im Märchen. Wenn ich mir meine goldene Kugel – oder was immer mir im Leben entglitten ist – zurückwünsche aus dem Brunnen, so hilft alles Wünschen nicht, wenn ich am Brunnenrand sitzen bleibe oder auf dem Sofa und jammere. Ich muss in den Brunnen! Sonst bleibt die Kugel unten. Oder ein Frosch holt sie mir und verlangt dafür mehr, als ich verloren habe. Im Märchen wie im Leben helfen nur Wünsche, die uns verändern, sodass wir unser Leben in die Hand nehmen und den Frosch an die Wand werfen. Solche Wünsche nennt man auch Visionen oder Utopien. Oder Träume. „I have a dream“, rief Martin Luther King. Und sein Traum hat vielen geholfen. Und muss noch weiter helfen.

"Ich muss in den Brunnen. Sonst bleibt die Kugel unten."Dr. Heinrich Dickerhoff

Märchen erzählen vom Wünschen. Und vom Ver-Wünschen. Ver-wünschen bedeutet „falsch wünschen“, so wie ver-laufen meint, in die falsche Richtung zu laufen. Manchmal erscheint Menschen ihr Leben verwünscht, weil sie selbst sich ver-wünscht haben. Eine Ver-Wünschung, die mir oft begegnet, lautet: „Ich muss perfekt sein!“ Es gibt wohl Augenblicke, in denen alles stimmt. Aber wenn wir ständig vom Leben und von uns selbst verlangen, perfekt zu sein, so wird uns diese Überforderung garantiert unglücklich machen.

Unglücklich macht es, wenn wir von uns selbst zu viel erwarten. Doch wir werden auch nicht glücklich, wenn wir uns zu wenig abverlangen. „Andere haben dafür zu sorgen, dass ich glücklich bin!“ – auch das ist eine Verwünschung. Zwar wird uns Glück oft ohne unser Zutun geschenkt. Gut, wenn wir aufmerksam dafür sind und dankbar. Aber wir können nicht von anderen erwarten, dass sie uns glücklich machen, während wir uns im behaglichen Elend einigeln. Wünsche helfen, wenn sie zu Wegen werden.

Frösche werden nicht durch bloßes Wünschen zu Prinzen. Manchmal kann man sie schönküssen. Manchmal muss man sie an die Wand werfen, um sie zu verwandeln. Ich wünsche mir und Ihnen Wünsche, die uns weiterbringen. Und die Einsicht, wann wir küssen und wann werfen müssen.


Zur Person:

  • Heinrich Dickerhoff ist Akademiedirektor in Rente, Hausmann und arbeitet als freiberuflicher Dozent.
  • Er wohnt in Cloppenburg.
  • Den Autor erreichen Sie unter: redaktion@om-medien.de.

Das neue E-Paper ist da: Mit einem deutlich besseren Lesekomfort inkl. Vorlesefunktion, täglichen Rätseln und einer Audiothek. Ab sofort erhältlich unter mein.om-online.de oder im App-Store bzw. Google-Playstore.  

Das könnte Sie auch interessieren

Hier klicken und om-online zum Start-Bildschirm hinzufügen

Wo das Wünschen noch geholfen hat - OM online