Wissenschaft macht Spaß! Und ist verdammt gruselig...
Kolumne: Die Generation Z zeigt's Ihnen – Was haben Mäuse und Menschen gemeinsam? Enge ist für sie nur bis zu einem gewissen Grad erträglich.
Sören Kemnade | 19.06.2023
Kolumne: Die Generation Z zeigt's Ihnen – Was haben Mäuse und Menschen gemeinsam? Enge ist für sie nur bis zu einem gewissen Grad erträglich.
Sören Kemnade | 19.06.2023
Kennen Sie das? Wenn es so richtig eng wird in der Großstadt? Wer an einem Sommertag mal durch die Hamburger Innenstadt spaziert oder in Frankfurt am Main über die berühmte Zeil schlendert, weiß, was Menschenmassen sind. In Großstädten, aber auch kleineren Städten, nimmt die Bevölkerungsdichte kontinuierlich zu. Ab und an gibt es mal einen Einbruch, weil es einfach zu teuer wird, in der Stadt zu wohnen. Im Grunde kann jeder Stadt mit Perspektive Wachstum bescheinigt werden. Siehe Vechta. Ich freue mich für jeden, der die Enge der Großstadt genießt. Corona hat jenen Menschen ja viel ihrer Lebensqualität genommen. Und ich selber finde ja, dass dichtes Gedränge auch mal etwas Schönes sein kann, wenn man auf dem Flohmarkt am beliebtesten Stand des Tages um – meistens doch – Ramsch feilscht. Aber hier wird es kritisch: Nach dem Ethnologen John B. Calhoun kann zu viel Enge – sprich Überpopulation – zu einem echten Problem für die Gesellschaft werden. Die Erkenntnis ist aber nicht neu. Die Forschungen dazu betrieb der aus Tennessee stammende Verhaltensforscher bereits in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts. Was so erschreckend an seiner Forschung ist, wie sie beschreibt, was mit uns passieren könnte, wenn es dann doch zu eng wird in der Bevölkerungskonzentration an einem Ort. Dazu erschuf der Ethnologe John B. Calhoun ganze „Universen“ für seine Labormäuse. Dort hatten sie alles, was sie brauchten – von Nahrung bis hin zu Auslauf, zudem keine bestehende Gefahr, von einer fiesen Katze gefressen zu werden. „Aber wie kann man von Mäusen auf den Menschen Rückschlüsse zulassen?“, fragt man sich jetzt vielleicht. Mäuse sind tatsächlich schlauer, als ihr Ruf vermuten lässt. Manche Forscher gehen sogar davon aus, dass sie eine gewisse Gabe zur Reflexion ihrer Taten haben. Zurück zum Experiment: Es war ein Mäuseutopia. Und dennoch musste der Wissenschaftler Calhoun nach einer gewissen Zeit Schreckliches feststellen. In seinem besonders bemerkenswerten Experiment „Universum 25“ erreichte die Bevölkerung eine Spitze von 2200 Mäusen. Und hier wird es gruselig. Obwohl den Tieren nichts fehlte, außer dass der Platz knapper wurde, begannen die Tiere, schreckliches und abnormes Verhalten an den Tag zu legen. Mütter kümmerten sich kaum oder gar nicht mehr um ihren Nachwuchs, es bildeten sich bestimmte Gruppen. Zum einen die Gruppe der Alphas, die sich alle Nahrung sicherten und viele der anderen Tiere verhungern ließen sowie alle weiblichen Mäuse für sich beanspruchten. Es gab die Gruppe der Verlierer, die nichts hatten, verhungerten und auch keine weibliche Maus zu Gesicht bekamen. Und die große Mehrheit der Mäuse lebte in einem für die Tiere ungewöhnlichen Schweigen. Im Allgemeinen verschlechterte sich die Situation in der Mäusegesellschaft mit zunehmender Dichte rapide. Und selbst in dem Moment, als das Mäusewachstum zurückging, war ihre Kultur dem Tode geweiht, da sich die etablierten Strukturen von Verwahrlosung und Dominanz nicht mehr umkehren ließen. Nach 600 Tagen ihrer Existenz war die Mäusegesellschaft dabei, auszusterben. Was sich während dieses Experiments abgespielt hat, überraschte und schockierte Calhoun. Ihm war bewusst, dass andere Säugetiere ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen würden. Ihm war ebenfalls bewusst, dass es uns Menschen irgendwann ebenso ergehen wird. „Das Desaster, das die Mäuse uns vorexerzierten“, so Verhaltensforscher Calhoun, „ist so zwingend, dass die Welt nicht jeden einzelnen Beweis in dieser Gleichung abwarten kann.“ Er meint: Wir müssen sofort handeln, bevor unsere überdichten Bevölkerungen sich ihrer Kultur und Moral entledigen."Wir müssen sofort handeln, bevor unsere überdichten Bevölkerungen sich ihrer Kultur und Moral entledigen."Sören Kemnade
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