"Was geht, wenn's nicht mehr geht?" Der Rollitreff gibt seit 40 Jahren Antworten
Der Rollstuhlfahrertreff Landkreis Vechta feiert sein 40-jähriges Bestehen. Die Vorsitzende Renate Lüdeke bittet den Landkreis um mehr Rücksicht beim Planen.
Generationsübergreifender Perspektivwechsel: Der Parcours der Firma Bödeker zeigt Jung und Alt, was alles mit einem Rollstuhl möglich ist. Foto: Heidemann
"Wir feiern Rollitreff", singen die Kinder des Chors der Christophorus-Schule das altbekannte "Rollitrefflied", denn der Rollstuhlfahrertreff Landkreis Vechta ist 40 Jahre alt geworden. Dafür hatte der Verein vor Kurzem eine Fete im Gulfhaus, samt verschiedener Aktionen zum Thema, musikalische Acts sowie ein Spiel der Rollstuhlfahrer-Basketballmannschaft Dinklage auf die Beine gestellt. "Stehen ist was Tolles – viele können nicht stehen", begann Renate Lüdeke, erste Vorsitzende des Rollstuhlfahrertreffs, ihre Ansprache und lenkte damit gleich das Augenmerk auf das Motto des Tages: "Was geht, wenn's nicht geht?"
"Der Rollitreff hat darauf die passende Antwort gefunden", sagte der stellvertretende Landrat Josef Kläne. Im Jahr 1982 entstand auf einer Wallfahrt bei Lüdekes Vater Bernd Scheele und Gräfin Gudrun von Merveldt die Idee eines Rollstuhlfahrertreffs. Mit acht Teilnehmern ist dieser im Mai ein Jahr später gestartet. Mittlerweile zählt der Verein 26 Mitglieder mit Betreuern und 8 ehrenamtliche Helfer – einige Mitglieder sind bereits seit 40 Jahren dabei. So feiert Betreuerin Elfriede Lampe aus Holdorf bald ihren 90. Geburtstag. "Der heutige Tag zeigt, wie lebendig der Treff in Vechta ist", so Kläne. "Als Rollstuhlfahrer ist man in Vechta nicht alleine."
Einem Schicksalsschlag mit Humor begegnen: Die erste Vorsitzende Renate Lüdeke (rechts) übergibt eine Zeichnung von Manfred Zerhusen an seine Witwe Anni aus Steinfeld. Er malte Situationen, die er als Rollstuhlfahrer selbst erlebt hat und verarbeitete diese in lustigen Zeichnungen. Foto: Heidemann
"Was erleben und informieren" ist dem Treff wichtig
Das Rauskommen trotz Behinderung und der Austausch von pflegenden Angehörigen gehören zu den obersten Zielen – und das ohne festen Versammlungsort. "Der Rollitreff ist ein fahrendes Volk und im ganzen Landkreis zu Hause", so Lüdeke. Die Mitglieder unternehmen Ausflüge zu Betrieben, Theateraufführungen und Museen, aber auch Einladungen verschiedenster Art, zum Beispiel von Schulen und andere Vereine, stehen auf dem Programm.
"Unsere Treffen sind mehr als nur ein lockerer Zeitvertreib", sagte Lüdeke. So hat ein Besuch bei der Feuerwehr Vechta Aufschluss darüber gegeben, wie die Retter einen Rollstuhlfahrer sicher aus dem 2. Stock evakuieren können und ihnen somit die Angst genommen. Doch auch Gremienarbeit wie im Behinderten-Beirat oder bei Selbsthilfegruppen der Caritas ist den Mitgliedern nicht fremd – dort beraten sie mit ihrem Fachwissen.
Notwendige Barrierefreiheit ist noch lange nicht erreicht
Ein Rollstuhl könne schnell dafür sorgen, dass man "nicht mehr in den Rahmen passt". Aus diesem Grund sei ein Perspektivwechsel sinnvoll. Dies gelte besonders für die Baubranche. So werde der Wenderadius eines Rollstuhls oft nicht berücksichtigt und auch geeignete Toiletten seien noch immer Mangelware. "Bitte helfen Sie uns, eine barrierearme Umwelt zu schaffen", sagte Lüdeke. "Setzen Sie sich einmal in einen Rollstuhl, bevor Sie mit der Planung beginnen. Denken Sie daran: Rollstuhlfahrer können nicht fliegen."
Auch Josef Kläne ist sich dessen bewusst und setzt sich für Barrierefreiheit ein. Trotz vieler Verbesserungen gebe es jedoch immer noch Hürden. "Deswegen brauchen wir den Rollitreff, der sich als Stimme in die Politik einmischt." Auch der stellvertretende Bürgermeister Philip Wilming bekannte sich in seiner Ansprache schuldig bezüglich unsichtbarer Hürden. So habe ein Bordstein dafür gesorgt, dass das neue barrierefreie Vereinsheim nicht befahren werden konnte.
"An so etwas Simplen liegt es manchmal", gestand Wilming ein. So etwas vergesse man schnell bei der Planung. Der Fehler wurde wenige Tage später beseitigt. Es sei gut, dass es den Rollitreff gibt, der auf so etwas aufmerksam macht, lobte Wilming. Als Dank und Zeichen der Verbundenheit soll im Zitadellen-Park ein Baum gepflanzt werden – der Ort sei natürlich 100 Prozent barrierefrei, versprach er.
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