Haben Sie auch gejubelt? Sprit wieder unter 2 Euro, eine Tankfüllung für weniger als 100 Euro. Preise wie in Vorkriegszeiten. Die Ampel macht es möglich. Nicht nur 100 Milliarden für die Bundeswehr gebunkert, sondern auch der Rabatt an den Zapfsäulen. Obwohl kurz zuvor noch einmal die Boni für die Vorstände der Öl-Multis explodierten. Und dann auch noch die Sonderangebote der Bahn. Für 9 Euro im Monat auf der Billigschiene. Inflationäre Aktionen im Zeichen der Inflation. Deutschland im Mobilitätsrausch. Pfingsten werden wir es erleben.
Aber mal ehrlich: Preiswerte Tickets sind das Schlechteste nicht. Mit einem wonnigen Gefühl erinnere ich mich an die Frühphase meiner touristischen Vita, die mich zweimal (1974 und 1981) als stolzer Besitzer und Nutzer eines Interrail-Heftchens auswies. Eine bahnbrechende Idee, die da vor exakt 50 Jahren aufs Gleis geschoben wurde. Zum Pauschalpreis von zunächst 235 D-Mark durften junge Menschen bis 21 Jahre (später bis 25, anschließend Aufhebung der Altersgrenze) für einen Monat mit dem Zug quer durch Europa reisen – freilich nur westlich des „Eisernen Vorhangs“.
Als Bursche vom Lande raus in die weite Welt: Ich hatte kräftig geschuftet, um mir den Traum von Europa auf Schienen zu erfüllen. Damals ging man in den Schulferien noch jobben, Handlanger auf dem Bau für vierfuffzig die Stunde. Oder „Schüpp Schüpp Hurra“ bei einem Unternehmen, das Kabel und Erdgasrohre verlegte; die zahlten sogar 6 Mark. Jedenfalls reichten das Erarbeitete und Ersparte für das Ticket und die Reisekasse, die gemessen an heutigen Verhältnissen eher übersichtlich gefüllt war.
"Man hat uns Rucksack-Touristen nahezu überall mit offenen Armen empfangen, obwohl wir sicherlich nicht das zahlungskräftigste Klientel stellten."Alfons Batke
Tatsächlich entwickelte sich schnell ein Gefühl von grenzenloser Freiheit, als ich zusammen mit zwei Freunden zur ersten großen Expedition aufbrach. Rucksack, Isomatte, ein Zweimannzelt für drei Leute und – wichtig – die Bibel für uns Backpacker: das Kursbuch, ein kiloschweres gedrucktes "Internetz" für alle verfügbaren Bahnstrecken im „freien“ Europa. Es führte uns sicher mit einer manchmal verblüffenden Präzision durch das europäische Schienen-Labyrinth.
Wo's am schönsten war, wollen Sie wissen? Irland mit seiner unschlagbaren Gastfreundschaft, in einer Zeit übrigens, als die Grüne Insel noch als das Armenhaus des westlichen Europas galt. Portugal mit der Aufbruchstimmung nach der Nelken-Revolution und einer Algarve, die noch nicht zubetoniert war. Das ehemalige Jugoslawien als einziges „kommunistisches“ Land, das im Interrail-Verbund war, und touristisch erst in den Startlöchern hockte.
Man hat uns Rucksack-Touristen nahezu überall mit offenen Armen empfangen, obwohl wir sicherlich nicht das zahlungskräftigste Klientel stellten. Die Eindrücke dieser Reisen wurden zur DNA des Lebens und haben ein Gefühl für Europa entstehen lassen; sie förderten Toleranz, Offenheit und Kontaktfreude. Es war ein sehr schönes Lebensgefühl und, ja, wir haben das Leben (auch) in vollen Zügen genossen.
Zur Person:
- Alfons Batke blickt auf eine über 40-jährige journalistische Laufbahn zurück.
- Der 66-Jährige lebt als freier Ruheständler in Lohne.
- Den Autor erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.