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Vive la difference – gegen unzulässige Generalisierungen!

Kolumne: Auf ein Wort – Die Übertragung von Einzelfällen aufs Ganze hat in den letzten Jahren zugenommen. Das gilt nicht nur für den Blick auf die Kirche.

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Vor einigen Tagen bekam ich die E-Mail eines erzürnten Zeitgenossen, der sich bei mir über die "Eiseskälte der Kirche" beklagte. Dieser Rundumschlag war die Reaktion auf ein Gespräch, das der Schreiber mit einem (1) Mitglied der Kirche geführt hatte. (In Klammern sei angemerkt, dass zur Kirche in Deutschland 2021 etwa 22 Millionen Mitglieder gehörten).

Ganz offensichtlich war das Gespräch nicht zur Zufriedenheit der Person verlaufen. Die singuläre Erfahrung, welche die Person mit einem (1) Kirchenmitglied gemacht hatte, sie reichte aus, "der Kirche" als Ganzes (also auch den restlichen etwa 22 Millionen Kirchenmitgliedern) "Eiseskälte" vorzuwerfen!

Vielleicht bin ich als betroffenes Kirchenmitglied zu sensibel. Aber ich habe den Eindruck, dass solche unzulässigen Generalisierungen, also die Übertragung von Einzelfällen auf das Ganze, in den letzten Jahren zugenommen haben.

"Nein, nicht alle Menschen in Russland sind gewissenlose Aggressoren, die den Tod unschuldiger Zivilisten und die völlige Zerstörung ganzer Städte gutheißen."Pater Karl Gierse

Zugegeben: Die Institution "Kirche" bot da reichlich Projektionsfläche! Nehmen wir als Beispiel das Thema "Missbrauch". Wohlgemerkt: Jeder Fall von Machtmissbrauch oder sexuellem Missbrauch durch Priester ist ein Fall zu viel. Aber manchmal konnte man in Medienbeiträgen oder Meinungsäußerungen den Eindruck gewinnen, dass die gesamte Priesterschaft in Deutschland (2020 immerhin noch weit über 12.000) eine einzige Bande von Missbrauchstätern sei. Differenzierte Betrachtung: Fehlanzeige!

Nehmen wir ein außerkirchliches Beispiel: Durch den Angriffskrieg Putins sehe ich aktuell die Gefahr unzulässiger Generalisierung gegenüber der russischen Bevölkerung. Nein, nicht alle Menschen in Russland sind gewissenlose Aggressoren, die den Tod unschuldiger Zivilisten und die völlige Zerstörung ganzer Städte gutheißen.

Generalisierung muss sich an der Realität messen – und die ist anders

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch gut an die Erzählungen meines Mitbruders Willigis Kretschmer, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg in russische Gefangenschaft geriet. Mit großem Respekt und tiefer Dankbarkeit erinnerte er immer wieder daran, dass russische Menschen den halb verhungerten Gefangenen auf ihren Märschen wiederholt eine Scheibe Brot zugesteckt hätten. Es gibt sie nicht: "die Russen"!

Ich glaube, dass ich Jesus Christus bei diesen Ausführungen gegen unzulässige Generalisierungen auf meiner Seite hätte. Gegen das weit verbreitete Negativ-Image, das den Menschen aus Samarien damals bei Jesu Landsleuten anhaftete, setzte er im Gleichnis den "barmherzigen Samariter" als leuchtendes Beispiel für Nächstenliebe! Bleiben wir sensibel gegenüber unzulässigen Verallgemeinerungen! Es gibt sie nicht: die Südoldenburger, die Lehrer, die e-Bike-Fahrer und -Fahrerinnen! Es lebe die differenzierte Sicht! Vive la difference!


Zur Person:

  • Pater Karl Gierse ist Prior des Vechtaer Dominikanerkonventes.
  • Er wirkt in verschiedenen Bereichen der Seelsorge in Vechta und im Oldenburger Land.
  • Den Autor erreichen Sie per E-Mail an redaktion@om-medien.de.

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