Uschi steht auf Kreisverkehr
Meine Woche: Ein Navi soll den rechten Weg weisen, das ist seine Bestimmung. Doch es kann auch hinterhältig sein. Ein richtiges Miststück.
Karin Heinrich | 30.07.2023
Meine Woche: Ein Navi soll den rechten Weg weisen, das ist seine Bestimmung. Doch es kann auch hinterhältig sein. Ein richtiges Miststück.
Karin Heinrich | 30.07.2023
Über manche Begebenheit möchte man am liebsten den barmherzigen Mantel des Schweigens hüllen, weil sie so peinlich ist. Aber man wächst ja an den Niederlagen, und bevor ich hier nun die sprichwörtliche Hose runterlasse, sei schon mal gesagt: Ich bin nicht allein schuld, nein, Uschi war’s, das hinterhältige Miststück! Doch der Reihe nach. Von Peinlichkeit noch keine Spur, als ich zum Abitreffen in Leer antrete. Ein toller Abend in der alten Heimat, an dem ich mit einem früheren Freund in Erinnerungen schwelge, allerlei Unsinn mit Heidi rede, mit Helga über das Singledasein im Allgemeinen sinniere und mit Hannah Anekdoten über die damalige Raucherecke auf dem Schulhof austausche. Dann treffe ich noch Kerstin auf dem Klo, wo wir zwischen Waschbecken und Kabinen 20 Minuten lang die vergangenen 42 Jahre Revue passieren lassen. Ein rundum gelungener Abend also, als ich gegen 1 Uhr in mein 4-Sterne-Hotelbett krieche. Und vor lauter Wohlgefühl kaum in den Schlaf finde. Am nächsten Morgen genehmige ich mir ein opulentes Frühstück mit Lachs und rohem Mett, bevor ich mich, unausgeschlafen und leicht verkatert, hinters Lenkrad meines Kleinwagens fallen lasse. Und da ich mich bereits in der passenden Richtung befinde, beschließe ich, die Strecke über Rhauderfehn zu nehmen, statt die gewohnte über Filsum. Ob es an den zahlreichen Gläsern Sekt und Weißwein vom Vorabend liegt oder schlicht an strunzdoofer Unaufmerksamkeit lässt sich nicht mehr feststellen. Jedenfalls biege ich hinter Rhauderfehn eine Straße zu früh nach rechts ab. Und damit beginnt die Odyssee. Eine recht ländliche Gegend hier, ich wundere mich bereits, als ich über holprige Wege an Bauernhöfen und einer friedlich vor einem kapitalen Misthaufen wiederkäuenden Kuhherde vorbeikomme. „Bitte fahren Sie in 200 Metern nach rechts auf die B72“, weist mich Uschi, mein Navi, an. Ich folge ihrer Anweisung – und befinde mich auf der nächsten Holperstraße. Nun weiß selbst ich, die in Erdkunde nie aufgepasst hat, dass 10 Meter Feldweg keine Bundesstraße sein können. Was zum Teufel ist hier los, denke ich denn auch folgerichtig, als ich erneut die Kuhherde mit dem Misthaufen passiere. Auch der Rest kommt mir bekannt vor, aber zur Sicherheit drehe ich noch eine Runde. „Bitte fahren Sie in 200 Metern nach rechts auf...“. Uschi lebt ihr Faible für Kreisverkehr hemmungslos aus. Und ich habe keine Ahnung, wo der Notausgang aus diesem Hamsterrad ist. Langsam bereue ich, keinen Proviant mitgenommen und auch die eisgekühlte Wasserflasche an der Rezeption abgelehnt zu haben. Wer hätte denn auch ahnen können, dass Uschi so ein hinterhältiges Luder ist. Nach Runde vier (die Rindviecher grinsen bereits hämisch) habe ich eine Vision. Ich werde hier so lange im Kreis fahren, bis der Tank leer ist, und Monate später findet ein Spaziergänger ein weibliches Skelett hinter dem Lenkrad eines schwarzen Ford Fiesta, Baujahr 2003... Zum Glück erspähe ich nun eine Frau, die mit ihrem Hund Gassi geht. Die lief dort auch zwei Runden vorher schon, aber da wollte ich mir die Blöße noch nicht geben. Ich frage sie nach dem Weg: „Wenden, dann die Straße bis zum Ende fahren, dann rechts, dann links und wieder rechts, und dann ist es nicht mehr weit bis zur B72.“ Ich bedanke mich und ignoriere Uschi, die mich nach links, nach rechts und wieder nach links lotsen will. Miese Tusse. Kaum auf der Bundesstraße, schweißgebadet und mit ordentlich Verspätung, bringe ich Uschi endlich zum Schweigen und fasse spontan zwei Entschlüsse: Nie wieder werde ich mit Kater unbekannte Strecken wählen – und nie wieder einer anderen Frau mein Denken überlassen."Ich werde hier so lange im Kreis fahren, bis der Tank leer ist, und Monate später findet ein Spaziergänger ein weibliches Skelett hinter dem Lenkrad eines schwarzen Ford Fiesta. Baujahr 2003..."
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