Das "Guten Morgen" kommt den acht Ukrainerinnen, die am Mittwochvormittag zum Unterricht erschienen sind, schon recht flott über die Lippen. Seit Anfang Mai lernen sie im Bildungswerk Essen die deutsche Sprache. Ihre Lehrerin Valentina Klötz ist sehr zufrieden mit ihnen. "Alle haben Fortschritte gemacht", sagt sie.
Dreimal in der Woche büffeln die Frauen fleißig Vokabeln und arbeiten sich durch das Lehrbuch, das Valentina Klötz für sie ausgesucht hat. Die Markhauserin hat bereits Erfahrung als Sprachlehrkraft und kann sich mit ihren Schülerinnen auch auf Russisch und Ukrainisch unterhalten. Die Arbeit mit den Geflüchteten macht ihr Spaß. "Die Lernbereitschaft ist wirklich groß", lobt sie.
Dass der Kurs, für den sich inzwischen zwölf Frauen angemeldet haben, überhaupt zustande kam, lag am finanziellen Engagement der örtlichen Firma Vogelsang. "Wir selbst haben keine Mittel, um die Lehrerin und die notwendigen Materialien zu bezahlen", bestätigt die stellvertretende Bildungswerk-Vorsitzende Juliane Berding. Sie wandte sich hilfesuchend an Vogelsang-Entwicklungsleiter Paul Krampe, der das Anliegen weitertrug. "Schon am nächsten Tag erhielten wir die Zusage, dass die Firma 10.000 Euro bereitstellt. Und kurz darauf war das Geld auch da", lobt Berding. Unterrichtet wird jetzt erst einmal so lange, bis die Summe verbraucht ist. "Danach sehen wir dann weiter", sagt Geschäftsführer Wilhelm Grüßing.
Frauen loben gute Aufnahme im Ort
Die Frauen stammen aus unterschiedlichen Städten und haben sich erst in Essen kennengelernt. Einige von ihnen hätten echte Odysseen hinter sich, weiß Juliane Berding. Eine Teilnehmerin etwa sei tagelang in der Ukraine unterwegs gewesen, ehe sie über Polen, Berlin, Hannover und Bramsche zunächst ins Don-Bosco-Haus nach Calhorn kam. Inzwischen wohnt sie wie alle anderen Frauen direkt in Essen. "Die Gemeinde mietete für sie Wohnungen an", erklärt Berding. Einige von ihnen haben Kinder, die die örtlichen Kitas und Schulen besuchen. Sie seien von der hiesigen Bevölkerung sehr gut aufgenommen worden, loben die Frauen übereinstimmend. Auch der Infrastruktur stellen sie ein gutes Zeugnis aus. Essen sei "sauber", "schön" und "kompakt".
Die meisten Geflüchteten sind das Leben in der Großstadt gewohnt. Ob sie die Vorzüge Essens länger genießen wollen, dürfte nicht zuletzt vom Kriegsverlauf in ihrer Heimat abhängen. Von einem unbeschwerten Dasein könne jedenfalls nicht die Rede sein, betont Juliane Berding. "Man merkt, wie die Frauen unter der Situation leiden. Viele mussten ihre Ehemänner und andere Familienmitglieder zurücklassen. Manchmal weinen sie gemeinsam." Der Deutschkurs lenke von den trüben Gedanken ab. "Sollten sie hoffentlich bald wieder nach Hause zurückkehren können, dann nehmen sie die neuen Erfahrungen einfach mit", sagt die pensionierte Lehrerin.
Unternehmen können sich einbringen
Dem Bildungswerk liegen bereits weitere Anfragen vor. Manche Geflüchtete haben mittlerweile kleinere Jobs, etwa als Putzkraft, angenommen und würden deshalb gern abends lernen. Ob die Einrichtung ihr Angebot erweitern kann, hängt allerdings von den Finanzierungsmöglichkeiten ab. Berding und Grüßing hoffen, dass das Beispiel Vogelsang Nachahmer findet. Angesichts des Fachkräftemangels könne sich das Engagement für die Unternehmen auszahlen, werben sie. Paul Krampe jedenfalls hat den Ehemann einer Geflüchteten bereits eingestellt. Der erfahrene Schweißer besitzt einen tunesischen Pass und durfte deshalb mit seiner Familie aus der Ukraine ausreisen. "Wir sind super mit ihm zufrieden", sagt Krampe.
Berding freut sich, dass sich der Einsatz gelohnt hat. "Er ist unser Beitrag zur Integration", sagt die stellvertretende Vorsitzende. Und er zeige, dass sich in kleineren Orten vieles schneller und unkomplizierter lösen lasse, als in so manchen Metropolen.