Wissensaustausch, Vernetzung und Kooperation: Mit diesem Dreiklang soll die Ernährungswirtschaft in Niedersachsen, die zweitwichtigste Branche im Land, auf der Höhe der Zeit sein – und weiterentwickelt werden, ihre Leistungsfähigkeit steigern können.
Darum geht es bei der Landesinitiative Food (LI Food), deren Geburtsstunde im Jahr 1999 in einem Pilotprojekt schlug, das an der Universität Vechta entwickelt wurde.
Daraus entstand zunächst die „Landesinitiative Ernährungswirtschaft“. Gesteuert wurde sie über viele Jahre vom Kompetenzzentrum Ernährungswirtschaft Niedersachsen (Nieke) – das von der Uni Vechta und dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück geleitet wurde. Beide Institutionen arbeiteten in prestigeträchtiger Position zusammen.
Bereits 2019 verlagerte sich der Schwerpunkt der "LI Food" nach Quakenbrück
Allerdings: Die Geschäftsstelle der seit 2019 in „LI Food“ umbenannten Landesinitiative wurde im selben Jahr ans DIL verlagert. Die Uni Vechta blieb aber Partner im Management. Das Wirtschaftsministerium in Hannover versah den neuen zweijährigen Vertrag mit einem Volumen von 1,47 Millionen Euro.
Nun – nach Ende der Vertragslaufzeit, die bis Dezember 2021 ging – ist die Uni Vechta, die seit mehr als 20 Jahren in führender Rolle bei der Landesinitiative aktiv war, nicht mehr dabei. Warum?
Uni-Sprecherin: Ausrichtung der "LI Food" hat sich verändert
Die Ausrichtung der „LI Food“ habe sich geändert, heißt es von Uni-Sprecherin Katharina Genn-Blümlein auf Anfrage von OM Online. In den Themenfeldern, die von der Uni Vechta bearbeitet wurden, sei „derart erfolgreich gearbeitet“ worden, dass sich ein weiterer Einsatz erübrige.
Es sei beispielsweise in Zusammenarbeit mit einer Münchner Agentur ein Leitbild für die niedersächsische Ernährungswirtschaft erarbeitet worden. Konkret ist damit der Bereich gesellschaftlicher Akzeptanz gemeint – und dieser Themenkomplex sei in der neuen Ausschreibung für die „LI Food“ von 2022 bis 2024 „nicht mehr berücksichtigt gewesen“, sagt Genn-Blümlein.
Die Uni Vechta habe sich entschieden, entsprechend ihrer Ausrichtung auf Transformation (Wandel) in ländlichen Räumen und ihrer Rolle als Bildungs- und Wissenschaftseinrichtung, „auf die Beforschung ganzheitlicher Prozesse zu konzentrieren“.
„Aber es wird nicht auf die Ernährungswirtschaft allein gesetzt, sondern entlang vollständiger Wertschöpfungsketten gedacht.“Katharina Genn-Blümlein, Sprecherin der Uni Vechta
Es geht also auch darum, die Ressourcen zu bündeln. Hierbei würden nun „verschiedene ökonomische, ökologische, kulturelle und soziale Aspekte in ländlichen Räumen in den Vordergrund gestellt“. Themen der Ernährungswirtschaft würden zwar auch weiterhin an der Universität eine wichtige Rolle spielen. „Aber es wird nicht auf die Ernährungswirtschaft allein gesetzt, sondern entlang vollständiger Wertschöpfungsketten gedacht.“
Das geschehe unter anderem in enger Zusammenarbeit mit der an der Uni Vechta angesiedelten Wissenschaftlichen Koordinierungsstelle Transformationsforschung Agrar (Trafo:Agrar). Diese vereine Forschungskompetenzen von fünf niedersächsischen Forschungseinrichtungen – und sei auch auf internationalem Parkett bei der Zusammenarbeit mit Forschungspartnern aktiv.
Auch benachbarte Branchen werden einbezogen
Über Kooperationsprojekte zwischen Forschung und Praxis würden „neue Perspektiven, Prozesse, Technologien und Bildungsangebote in den Wertschöpfungsketten entwickelt“. Es gehe auch darum, benachbarte Branchen einzubeziehen, um neue Möglichkeiten für Verarbeitung, Vertrieb und Konsum von (neuen) Lebensmitteln zu erarbeiten.
Hat der Ausstieg der Uni Vechta aus der „LI Food“ aber möglicherweise auch etwas mit der Auflösung des Instituts für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten (ISPA) im vergangenen Jahr zu tun? Schließlich ging vom ISPA der Impuls zur Gründung eines Kompetenzzentrums Ernährungswirtschaft aus – und aus dem ISPA heraus wurde die spätere Landesinitiative mitgesteuert.
„Hier gibt es keinen Zusammenhang“, sagt Genn-Blümlein. Sie nennt aber das Folgeinstitut VISTRA (Vechta Institute of Sustainability Transformation in Rural Areas; zu Deutsch: Vechtaer Institut für nachhaltige Transformation in ländlichen Räumen) als Beispiel für die Fokussierung „auf die Beforschung ganzheitlicher Prozesse“.
Uni Vechta blickt auf "Li Food" mit "Stolz und Freude" zurück
Außerdem verweist Genn-Blümlein auf das neue Forschungscluster (eine Art kooperativer Zusammenschluss ohne Institutsrahmen) an der Uni Vechta. Ihm gehören auch vier Stiftungsprofessuren an (von denen drei besetzt sind).
Der gesellschaftliche Wandel habe einen „Transformationsprozess in Gang gesetzt, der gerade die Agrar- und Ernährungswirtschaft vor grundlegende Veränderungen stellt“, etwa durch den Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl. Eben dieser Prozess erfordere nun neue „Kompetenzen, Wege und Ansätze“. Da setze das Rahmenthema der Uni Vechta (Transformation ländlicher Räume) an. Auf die „LI Food“ blicke die Uni Vechta aber „mit Stolz und Freude“ zurück, sagt Genn-Blümlein.
Schwerpunkt der "LI Food" liegt nun bei Innovationen
Auch der Geschäftsführer der beim DIL in Quakenbrück angesiedelten „LI Food“, Christian Kircher, spricht von einer 20-jährigen erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Uni Vechta. Der Schwerpunkt der „LI Food“ liege aber nun bei Innovationen. Da habe man das Gefühl gehabt, mit anderen Partnern weiterzukommen (s. Fakten).
Ist eine erneute Beteiligung der Uni Vechta an der „LI Food“ denkbar? Sprecherin Genn-Blümlein sagt: Wenn die zukünftige Entwicklung der „LI Food“ zum Uni-Schwerpunkt der ganzheitlichen Betrachtung von Transformationsprozessen passe, „sind wir immer aufgeschlossen“.
Fakten:
- Das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik e. V. (DIL) in Quakenbrück hat zusammen mit dem Start-up-Zentrum „Seedhouse“ aus Osnabrück und diversen potenziellen strategischen Partnern der Ernährungswirtschaft aus Niedersachsen einen Antrag gestellt und Anfang Dezember 2021 den Zuschlag für die „LI Food“ vom Wirtschaftsministerium erhalten.
- Zu den Partnern zählen: Das „Agrotech Valley“ nahe Osnabrück, die Hochschule Osnabrück, das Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen (ZEHN), das Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen (KÖN), die Leuphana Universität Lüneburg, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (DECHEMA) .