Vor gut 3 Jahren, am 26. Februar 2020, erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelung für nichtig, mit der die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt worden war. Bei ihrer Begründung beriefen sich die Richter darauf, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben beinhalte. Seitdem wird im Bundestag diskutiert, wie es weitergehen soll. Aber auch in Cloppenburg wurde die Frage jetzt thematisiert.
Zum 34. Tag der Altenpflege hatten die Arbeitsgemeinschaften katholischer Einrichtungen der Altenhilfe im Landes-Caritasverband Oldenburg am Donnerstag (2. März) in die Stadthalle geladen. Unter dem Titel "Assistenz beim Suizid oder Hilfe beim Sterben?" kamen mehr als 500 Menschen aus dem Altenpflegebereich zusammen, darunter auch fast 200 Auszubildende. Ob es das spannende Thema war, das für einen Anmelderekord bei der Veranstaltung gesorgt hatte, oder die Tatsache, dass die Motivation aufgrund der längeren Corona-Pause groß war, darüber kann nur spekuliert werden.
Vortrag von Mitglied des Deutschen Ethikrates
Zu einem Impulsvortrag hatten die Organisatoren Professor Dr. Andreas Lob-Hüdepohl eingeladen. Er ist Professor für Theologische Ethik in Berlin und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Er müsse oft zu dem Thema sprechen, erklärte er gleich zu Beginn und stellte auch gleich klar: "Es ist nur auf den ersten Blick ein Thema des Alters". Denn laut der aktuellen Gesetzeslage gelte das Recht, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen, nicht nur für Schwerkranke, sondern im Grunde auch für "eine gesunde 16-Jährige".
"Es gibt momentan eigentlich nirgendwo sonst eine so unbegrenzte Rechtslage", erläuterte Lob-Hüdepohl. Voraussetzung ist dabei, dass die Entscheidung "ernsthaft und frei verantwortlich" getroffen wurde. Und da sieht der Ethiker ein Problem. Denn gut 95 Prozent der Suizidwilligen verfolgen dieses Anliegen nicht ernsthaft. Wobei sich auch hier wieder die Frage stelle, wer genau diese Ernsthaftigkeit und freie Verantwortlichkeit denn überprüfe. Insofern müsse der Fokus auf der Suizidprävention liegen, so Lob-Hüdepohl.
„Tabuisierung, versteckte Schuldvorwürfe und Bagatellisierung sind ein Teil, nicht die Lösung des Problems.“Professor Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
Dabei forderte er einen Perspektivwechsel. Pflegekräfte müssten durch Gespräche Druck aus der Situation nehmen, die Menschen ernst nehmen und andere Sichtachsen zulassen. Man sei verpflichtet, im Gespräch andere Optionen aufzuzeigen. "Eines der größten Probleme ist die Verdrängung von Suizidalität", betonte Lob-Hüdepohl. "Tabuisierung, versteckte Schuldvorwürfe und Bagatellisierung sind ein Teil, nicht die Lösung des Problems."
Da die Caritas eingeladen hatte, ging der katholische Theologe auch darauf ein, was die Rechtslage denn für christliche Altenpflegeeinrichtungen bedeutet. Hier stellte er klar, dass diese kein rechtsfreier Raum seien. Wie die Kirche also zum Thema Suizid steht, ist für die Rechtslage irrelevant. Ob die jeweiligen Altenpfleger bei einem Suizid assistieren wollen oder nicht, das sei eine persönliche Entscheidung. Gezwungen werden könne niemand. Es braucht aus Sicht von Lob-Rüdepohl palliativ-barmherzige Schutzräume, wo Menschen von dauernder Suizidberatung abgeschirmt sind.
Ethiker warnt vor Heroisierung
In Bezug auf die geschäftsmäßige Förderung des assistierten Suizids warnte Andreas Lob-Hüdepohl vor der "prekären Selbstbestimmung". Das bedeutet, dass sich Menschen durch die gesellschaftliche Erwartungshaltung zu einer Entscheidung gedrängt sehen. Dazu gehört auch eine drohende Normalisierung der Suizidhilfe. "Dann wird die Selbsttötung eine übliche Möglichkeit", warnte der Theologe. Außerdem gab er zu bedenken, dass Suizid eigenhändig durchgeführt werden muss, sonst wäre es Tötung auf Verlangen. Aus Angst vor Krankheiten, die diese Eigenhändigkeit erschweren, könnte es vermehrt zu prophylaktischen Suiziden kommen.
Abschließend war es dem Redner wichtig, eines hervorzuheben: "Selbsttötung darf nicht heroisiert werden." Unabhängig von der Rechtslage bleibe die Tragik suizidaler Ereignisse. Nach gut einer Stunde engagiertem Vortrag verließ er das Rednerpult. Und auch, wenn der Ethiker häufig über das Thema spricht – ihm war sogar körperlich anzusehen, dass es ihm wichtig ist und ihn noch immer aufwühlt.