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Sich schämen

Kolumne: Auf ein Wort – In Fettnäpfchen tritt jeder mal. Wir sind schließlich Menschen und Menschen machen Fehler.

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Meine Frau und ich kamen beim Frühstück über Fettnäpfchen ins Gespräch. Fettnäpfchen, die wir in unserem Leben nicht ausgelassen haben und für die wir uns geschämt haben. In uns beiden wurde die Erinnerung an ein ganz bestimmtes Ereignis wach.

Ich war noch Pastor in unserer vorigen Kirchengemeinde. Wir hatten Besuch von unserer Partnergemeinde aus der damaligen DDR. Der Kontakt in der Partnerschaft war rege und offen.

Ein Kirchenältester aus unserer Gemeinde, ein Landwirt, (Mann, was konnte der zupacken), hatte sich bereit erklärt, für das Essen am Ankunftsabend zu sorgen. Seine Frau und er haben Kartoffeln geschält, Gemüse geputzt und Fleisch aufgetischt, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Es war ein Genuss, und auch unsere Gäste aus der DDR waren voll des Lobes.

Als die Christen unserer Partnergemeinde wieder in Richtung Görlitz zurückfuhren, war für meine Frau und mich klar, dem Landwirt und seiner Frau müssen wir ein spezielles Dankeschön sagen, wir laden sie in ein gutes Restaurant zum Essen ein. Gesagt, getan, der Termin wurde festgelegt, wir würden sie vom Hof abholen. Und dann passierte es. Die beiden haben auf uns gewartet, aber wir sind nicht gekommen. Wir haben den Termin vergessen. Handy gab es damals noch nicht, sonst wäre der Abend vielleicht noch zu retten gewesen.

"Da stand ich, verlegen, wurde rot, stammelte Worte der Verzeihung und hatte das Gefühl, das alles reicht nicht, ist viel zu wenig. Das kannst du nie wieder gut machen."Jörg Schlüter

Es vergingen einige Tage und dann will es der ‚Zufall‘, dass wir uns begegnen, der Landwirt und ich. Ich ahne nichts Böses, wir kommen ins Gespräch, dann fragt er: „Was war eigentlich an dem Abend los, als Sie meine Frau und mich zum Essen abholen wollten und nicht gekommen sind? Was Ernstes?“

Kein Vorwurf, keine Schimpftiraden. Ich schämte mich in Grund und Boden. Da stand ich, verlegen, wurde rot, stammelte Worte der Verzeihung und hatte das Gefühl, das alles reicht nicht, ist viel zu wenig. Das kannst du nie wieder gut machen.

Er ist meiner Bitte um Entschuldigung nachgekommen. „Wir sind Menschen und Menschen machen Fehler.“

Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass mein Gegenüber so reagiert hat. Hätte er nicht das Recht gehabt, sich enttäuscht zurückzuziehen? Vielleicht hat er geahnt, wie miserabel ich mich gefühlt habe. Vielleicht wollte er auch nicht, dass unsere gute Beziehung durch mein katastrophales Verhalten zerstört wird. Ich war ihm jedenfalls ungeheuer dankbar für seinen Großmut und habe an eigener Seele erfahren, dass Einfühlungsvermögen und Vergebung Eigenschaften sind, die dem anderen helfen, die Scham zu überwinden. Ein Lehrstück für mich, das ich nie vergessen werde.


Zur Person:

  • Jörg Schlüter ist evangelischer Geistlicher.
  • Er war von 1998 bis 2011 Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Vechta.
  • Kontakt: redaktion@om-medien.de.

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