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Schreib was Positives

Kolumne: Auf ein Wort – Bei all der Negativität wären rein positive Nachrichten eine nette Abwechslung. Aber das Leben ist nicht nur schwarz und weiß.

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Meine große Liebe und ich streiten uns selten, aber wir sind des Öfteren unterschiedlicher Meinung. Das ist meistens bereichernd. Naja, manchmal auch lästig. Wenn es um das Schreiben der Kolumne geht, sagt sie oft: "Schreib was Positives! Negatives gibt es genug." Recht hat sie, aber nicht ganz einfach umzusetzen, oder? "Hör mal, Dir als Pastor müssten doch tausend gute Beispiele einfallen."

Wir sind seit gut 35 Jahren mit ihnen befreundet. Wir sehen uns manchmal nur einmal im Jahr, und dennoch ist bei Besuchen das Gefühl da, als sei man erst gestern auseinandergegangen.

Keine Anlaufzeit, keine hüstelnden Verlegenheitsmomente, gleich mitten drin. Das kann man nicht machen, das ist gewachsen. Sie und ihr zweiter Mann gehören zu einer Gruppe der Anonymen Alkoholiker. Sie waren beide ganz unten, hätten für eine Flasche Fusel alles getan. Jetzt gehen sie auf die 80 zu und sind glücklich. Wie verläuft die Kindheit, wenn Mutter jeden Tag ihr Quantum Schnaps braucht? Tausend Mal versprochen: Ich hör auf zu trinken. Tausend Mal nicht geschafft. Gescheitert. Die Tochter wird langsam erwachsen und dann schafft es Mutter doch. Mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker gewinnt sie den Kampf, ist trocken.

"Die Mutter wartet. Sie wartet still. Sie leidet, aber sie hört nicht auf zu hoffen, über 10 Jahre lang."Jörg Schlüter

Aber das Zusammenleben ist nicht einfach. Es knirscht immer häufiger. Eines Morgens steht auf dem Badezimmerspiegel mit Lippenstift geschrieben: "Du hast mich nicht gefragt, ob ich geboren werden will, also sag mir auch nicht, wie ich zu leben habe." Dann werden Vorwürfe an die Mutter laut. Lauter, immer lauter. Sie merken, es geht nicht mehr gemeinsam. Die Tochter zieht aus. Die Besuche werden seltener. Jahre gehen ins Land. Familiäre Beziehung auf Distanz. Sie wird Großmutter.

Dann beim letzten Besuch explodiert das Herz der Tochter, die ihr Leben nicht so in den Griff bekommt, wie sie es gerne hätte. Wer hat Schuld? Mutter! Die Tochter zieht einen Schlussstrich. Kein Kontakt mehr. Die Mutter wartet. Sie wartet still. Sie leidet, aber sie hört nicht auf zu hoffen, über 10 Jahre lang. Und dann erzählt sie: Meine Tochter, deren Tochter inzwischen auch erwachsen ist, die aber immer den Kontakt zu mir gehalten hat, durchlitt eine Sinnkrise.

Sie sagt zu ihrer Tochter: "Jetzt brauchte ich eine Mutter, mit der man über alles reden kann, ungeschminkt, ehrlich." Die Tochter antwortet ihr: "Du hast eine Mutter." Sie nickt. Sie steht vom Sofa auf, geht in die Küche, um allein zu sein. Dann wählt sie die Handynummer ihrer Mutter. "Können wir reden?" Am selben Nachmittag setzt sie sich in ihr Auto, fährt eine gute halbe Stunde und dann liegen sich Mutter und Tochter in den Armen. Sie weinen. Die Sintflut ist nichts dagegen. Nein, es ist nicht sofort alles wieder in Ordnung. Aber der erste Schritt ist getan. Endlich können sie wieder miteinander reden. Ich denke an Paulus. Wie schrieb er noch? "Hoffnung lässt nicht zuschanden werden."


Zur Person

  • Jörg Schlüter ist evangelischer Geistlicher.
  • Er war von 1998 bis 2011 Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Vechta.
  • Kontakt: redaktion@om-medien.de.

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