Es macht immer etwas her, sich einem Thema mit ein wenig Lyrik zu nähern. Keine Ahnung, ob die YouTube-Generation den Chartbreaker aller Frühlingsgedichte noch kennt, aber mir kam der Klassiker von Eduard Mörike (1804 bis 1875) am vergangenen Mittwoch gleich in den Sinn, als die Temperaturen bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein auf 14 Grad hochschossen. "Frühling lässt sein blaues Band/Wieder flattern durch die Lüfte/Süße, wohlbekannte Düfte/Streifen ahnungsvoll das Land", heißt es in Mörikes Evergreen – und wir sollten uns auch heute noch vor so viel Sprachkunst verneigen.
Ein Gedicht im Sinn, Musik im Ohr: Es mutet schon ein wenig kitschig an, dass beim Gedanken an den Reim parallel dazu im Radio der Soundtrack geliefert wurde. Der Sänger Mario Jordan ist wie Dichterfreund Mörike nicht mehr unter den Lebenden, doch die Zeile seines Hits "Ein schöner Tag, komm’ Welt lass’ dich umarmen, welch’ ein Tag" ist ebenso wie das "blaue Band" für die Ewigkeit geschaffen – und nicht nur für den Stoppelmarkt im Kettenflieger, der wie eine Drohne das Geschehen im Bermuda-Dreieck inspiziert.
Dermaßen motiviert und mit dem Lied auf den Lippen schwang ich mich auf das Fahrrad und fing den Frühlingstag ein – auch in dem Wissen darum, dass der Winter jederzeit ein Comeback geben kann. Aber die Tendenzen sind klar: Vielerorts steht das Vieh wieder auf der Weide, Schwärme von Vögeln lassen sich auf dem Weg in Richtung Norden beobachten und mächtige Traktoren mit ebenso mächtigen Fässern sind unterwegs, um flüssigen Dung auszubringen. Nun, um des Dichters Wort aufzugreifen: Es sind zwar nicht "süße Düfte", aber für unsere Region durchaus "wohlbekannte".
"Fragen, auf die ich keine Antwort fand. Aber indem ich sie für mich aufgeworfen habe, wurde mir bewusst, wie zerbrechlich alles ist."Alfons Batke
Stimmungswechsel: Auf dem Weg von Kroge in Richtung Diepholz kamen mir vier schwer beladene Militärtransporter entgegen. Sie rissen mich aus meinen Frühlingsträumereien und holten mich in die Realität des Winters 2023 zurück. Wurden da womöglich Hilfsgüter für die Erdbebenopfer in Syrien und in der Türkei bewegt? Verbarg sich unter den olivgrünen Planen auf den Lastern vielleicht militärisches Gerät, um die Ukraine in der Abwehr des russischen Angriffskrieges zu unterstützen? Fragen, auf die ich keine Antwort fand. Aber indem ich sie für mich aufgeworfen habe, wurde mir bewusst, wie zerbrechlich alles ist. Das mit dem Sonnenschein und dem blauen Himmel war am Donnerstag schon wieder vorbei.
Und das Leid in den Erdbebengebieten und in der Ukraine dauert an. "Horch, von fern ein leiser Harfenton" heißt es an anderer Stelle in Mörikes Gedicht. Wenn es doch nur so wäre. Für mich klingt es eher wie das Grollen der Kanonen. Ja, es ist zwar weit weg, aber irgendwie auch sehr nah. Daran denke ich, als ich den vier Transportern mit mir unbekanntem Ziel hinterherschaue. Kurz vor dem ersten Jahrestag eines Krieges, der so viele Träume und Leben zerstört hat. Dabei wollte ich doch eigentlich nur über einen schönen Frühlingstag schreiben.
Zur Person:
- Alfons Batke blickt auf eine über 40-jährige journalistische Laufbahn zurück.
- Er lebt als freier Ruheständler in Lohne.
- Den Autor erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.