Carlos Reigadas spielt für sich das Finale der 5. Sinfonie von Charles Marie Widor in der leeren Kirche. "Nicht nur groß, sondern wirklich wunderschön", attestiert er dem neugotischen Gotteshaus beim Blick auf Schiffe, Rundbögen und Gewölbe, als die letzten Takte verklungen sind. Mit der Sauer-Orgel hat er sich bereits angefreundet, "aber ich entdecke sie noch, weil sie so viel Potenzial besitzt und unendlich viele Möglichkeiten bietet", sagt er. Spielen habe immer auch etwas mit Spüren zu tun. Die Reaktion der Tasten zu erfühlen sei dabei von besonderer Bedeutung, damit aus dem Anfreunden ein Wohlfühlen werde.
Dass das gelingt, davon zeigt sich der neue Organist als A-Kirchenmusiker überzeugt, der sich bestenfalls auch in Friesoythe und der St.-Marien Gemeinde als seiner neuen Wirkungsstätte wohlfühlen wird. Eine gute Stunde hat er an diesem Nachmittag noch, dann steht der nächste Termin an, bevor er zum Gottesdienst nach Neuscharrel fährt. Danach trifft er sich mit dem Friesoyther Kirchenchor zur Probe. "So viele Messen wie möglich" will er zurzeit begleiten, Kirchen kennenlernen und Kontakte knüpfen.
Aufgrund seiner Chortätigkeit kennt er seit seinem Amtsantritt am 1. Oktober schon "verhältnismäßig viele Leute". Darunter übrigens auch die Mitglieder des Frauenchores und des Männergesangvereins Neuscharrel, die er federführend unterstützen wird.
Als Chorleiter fördern, fordern aber nicht überfordern
Fördern, fordern aber nicht überfordern, lautet die Philosophie des 49-Jährigen, der auf Augenhöhe kommunizieren und dem Chorgesang ein ansprechendes Niveau verleihen möchte. Und auch darüber hinaus bringt Reigadas, der über einen bemerkenswerten Werdegang verfügt, kreative Ideen mit, um Kirche lebendig zu gestalten. "Das ist nicht zuletzt meine Aufgabe und ich mag Herausforderungen", verrät der Sohn portugiesischer Eltern.
Konzerte ganz unterschiedlicher Art stehen grundsätzlich ganz hoch im Kurs, ein "Orgelmarathon" ist ebenfalls angedacht. Dabei würde er sich mit interessierten Menschen auf eine Radtour in die Ortsteile begeben, deren Kirchenorgeln kurz spielen und vorstellen und danach zu einem gemütlichen Abschluss einladen.
Mit zwölf Jahren erster Gottesdienst an der heimischen Kirchenorgel
Neue Töne möchte er beim "Lied des Monats" anschlagen. Noch unbekannte Melodien aus dem Gotteslob werden vier Wochen lang immer wiederkehrend angestimmt, bis sie verinnerlicht sind. Reigadas, der bereits mit zwölf Jahren die Kirchenorgel in seiner nordhessischen Heimat Bad Karlshafen spielte, versteht sich im Gottesdienst als Dirigent der Gemeinde, die er variantenreich mitnehmen möchte.
Klassische Musik, ihre Literatur und Komponisten begleiten ihn beruflich wie privat. Santana, Scorpions oder die alten Stücke von Iron Maiden dürfen es aber auch gerne mal sein. Zwischen Bach- Beethoven und Mendelssohn-Sinfonien reiht der studierte Kapellmeister an der Königin der Instrumente Pop- und Filmmusik ein. "'Star Wars' oder 'Jurassic-Park' passen super für die Orgel", weiß der Science-Fiction-Fan, der während seiner 6-monatigen Probezeit zwischen Dülmen und Friesoythe pendelt, in seiner Freizeit Sport treibt und liest. Mit Musik? "Ich kann mich zumindest ohne Musik bewegen und lesen – ohne Musik leben aber nicht."