Mensch oder KI?
Kolumne: Auf ein Wort – Der technische Fortschritt ist überall zu spüren. Aktuell lassen intelligente Computerprogramme die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen.
Dr. Marc Röbel | 06.06.2023
Kolumne: Auf ein Wort – Der technische Fortschritt ist überall zu spüren. Aktuell lassen intelligente Computerprogramme die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen.
Dr. Marc Röbel | 06.06.2023
Der Hochschullehrer weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Vor ihm liegt ein Stapel mit Seminararbeiten, die er korrigiert hat. Die meisten dieser Arbeiten sind ungewöhnlich gut. Das allerdings macht ihn misstrauisch. Haben das wirklich Studierende aus Fleisch und Blut geschrieben? ChatGPT nennt sich eine der künstlichen Lerntechnologien, die beim Verfassen von Texten und sogar von Gedichten Erstaunliches leistet. Wird der Mensch bald vollends durch die Maschine ersetzt? Oder sind solche Gegenüberstellungen nicht viel zu plakativ? Zu allen Zeiten hat es die Stimmen der Untergangspropheten gegeben, die jede zivilisatorische Weiterentwicklung bekämpft haben. Das gilt sogar für die Erfindung der Schrift, wie der Philosoph Platon berichtet. Was wäre aus der menschlichen Kultur ohne die Einführung der Schriftkultur geworden? Für den Philosophen Jean-Paul Sartre war das Schreiben eine Form des Denkens. Was bleibt jedoch, wenn wir das Denken ganz den Maschinen überlassen? Wie können Schulen und Universitäten sicher sein, dass die vorgelegten Arbeiten wirklich den Gehirnen derer entstammen, die dafür eine Note erwarten? Vermutlich wird auf die Dauer das Kolloquium wieder mehr an Bedeutung gewinnen: das Prüfungsgespräch, in dem Studierende nachweisen, dass der von ihnen vorgelegte Text auch von ihnen verstanden wird. Was ist nun von den künstlichen Gedichten, Bildern oder Kompositionen zu halten? Auch das Malen von Bildern, die nach Emil Nolde oder Picasso aussehen, oder musikalische Kompositionen im Stile Mozarts oder Beethovens lassen sich mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz produzieren. Sie könnten sich am Ende als zu glatt erweisen. Hinter den großen Kunstwerken steht immer auch eine Geschichte mit ihren Brüchen. Dazu ein Beispiel: Vor etlichen Jahren gab es in der Katholischen Akademie Stapelfeld eine Ausstellung mit Werken des Oldenburger Künstlers Max Herrmann. Zu sehen war auch ein evangelisches Abendmahlsgeschirr, Kelche und Schale aus Keramik. Max Herrmann hatte diese Sakralgefäße nicht nur entworfen. Ihm war es kurz vor seinem Tod auch wichtig, dass ein evangelischer Pfarrer mit ihm und wenigen Vertrauten in seinem Atelier das letzte Abendmahl Jesu feiert. Als die Ausstellung aufgebaut wurde, passierte ein Malheur. Der Kelch ging zu Bruch. Der beschädigte Kelch konnte repariert werden – und behielt den Sprung. Die Bruchstelle ist heute noch zu spüren. Die Brüche gehören zu uns. Sie machen uns menschlich. Darum sollten auch die Seminararbeiten unserer Studierenden nicht zu perfekt sein.„Die Brüche gehören zu uns. Sie machen uns menschlich.“Dr. Marc Röbel
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