Leben ist wie Fahrradfahren
Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Leben ist wie Fahrradfahren. Eine ziemlich labile Sache. Man muss lernen, sich zu vertrauen. Und man muss aufstehen, wenn man fällt.
Dr. Heinrich Dickerhoff | 23.06.2022
Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Leben ist wie Fahrradfahren. Eine ziemlich labile Sache. Man muss lernen, sich zu vertrauen. Und man muss aufstehen, wenn man fällt.
Dr. Heinrich Dickerhoff | 23.06.2022
Ich fahre für mein Leben gern mit dem Fahrrad. Leben und Fahrradfahren haben viele Gemeinsamkeiten. Nicht, dass wir Menschen überwiegend "Radfahrer" wären – so wurden in meinen jungen Jahren unangenehme Zeitgenossen genannt, die nach oben buckeln und nach unten treten. Nein, ich denke an das Vertrauen, das man fürs Leben braucht wie fürs Radfahren. Den meisten unserer Kinder habe ich das Radfahren beigebracht, indem ich das Rad am Gepäckträger festgehalten habe und sie dann, von mir im Gleichgewicht gehalten, losgefahren sind. Dann habe ich losgelassen, und sie sind weitergefahren. Erst wenn sie merkten, dass sie nicht mehr festgehalten wurden, fielen sie um – bis sie dann doch allein ihre Runden drehten. Sie mussten dazu nicht lernen, das Gleichgewicht zu halten. Das lernen wir schon mit dem Laufen. Sie mussten lernen, zu vertrauen, dass sie das Gleichgewicht halten können. Selbst und allein. Ohne väterliche Hand. Ohne mein Loslassen und ohne das Vertrauen, dass sie es irgendwann allein schaffen, hätten sie vielleicht nie das Fahren gelernt. Wer zu lange mit Stützrädern fährt, mag irgendwann nicht mehr darauf verzichten. Leben ist wie Fahrradfahren. Eine ziemlich labile Sache. Ich habe einmal die komplizierte physikalische Formel gelesen, warum ein Fahrrad beim Fahren nicht umfällt. Es hatte mit Masse und Beschleunigung zu tun. Ich habe diese Formel weder verstanden noch behalten, und ganz gewiss könnte ich sie nicht errechnen. Doch ich kann fahren, auch wenn ich nicht weiß, warum. Hätte man von mir verlangt, erst auszurechnen, wie es geht, wäre ich wohl nie aufs Rad gestiegen. Das Leben ist noch komplizierter als das Fahrradfahren. Und ich kenne keine Formel, kein Patentrezept fürs Leben. Denen, die behaupten, im Besitz einer solchen Formel zu sein, glaube ich nicht. Wenn‘s eine solche Formel geben würde, würde ich sie nicht verstehen. Aber ich kann leben. Wenn auch nicht ohne Stürze. Als ich viel später das Reiten lernen wollte, sagte meine Lehrerin: "Wenn du herunterfällst, steig gleich wieder auf. Je länger du wartest, umso größer wird das Pferd!" Und so ist es auch mit dem Drahtesel. Und dem Leben. Stürzen. Aufstehen. Aufsteigen. Den letzten Sturz werde ich nicht abfangen können. Dann stehe ich aus eigener Kraft auf und setze meinen Weg fort. Aber noch geht es. Noch traue ich mich. Auch, weil mir andere Menschen ihr Vertrauen schenken. Und weil ich ein Vertrauen hinter ihrem Vertrauen spüre. Lebens-Vertrauen brauchen wir, nicht Lebens-Formeln, denn mehr als die Schwerkraft zieht uns die Angst zu Boden."Hätte man von mir verlangt, erst auszurechnen, wie es geht, wäre ich wohl nie aufs Rad gestiegen."Heinrich Dickerhoff
Leben ist noch komplizierter als Radfahren
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