Verschiedenste Akteure sollen ein Konzept entwickeln, um die Folgen der Erderwärmung abzumildern. Ob Photovoltaik, begrünte Dächer oder Zisternen, der Landrat sieht viele Chancen, aber auch Probleme.
Das Goldenstedter Moor im Winter: Den Mooren im Landkreis kommt beim Klimaschutz eine besondere Bedeutung zu. Foto: M. Niehues
Die Konflikte zeichnen sich ab, noch bevor das Projekt gestartet ist: Geht es nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, müssten die Moore im Landkreis Vechta sowie das Umland wiedervernässt und Menschen umgesiedelt werden, damit sich das Klima in den kommenden Jahrzehnten nicht so stark erwärmt, wie befürchtet.
Aber: Kann man Landwirte für solche Projekte enteignen und entschädigen, wie man es andernorts für den Braunkohletagebau macht? Diese und andere Fragen stellten sich Experten bei der Online-Auftaktveranstaltung für das "Klimafolgenanpassungskonzept" des Landkreises Vechta
Der Landkreis wolle sich den Herausforderungen der klimatischen Veränderungen stellen, hieß es. Landrat Tobias Gerdesmeyer machte in seinem Grußwort deutlich, dass der Klimawandel das Leben in der Region in "erheblicher Weise" verändern werde. "Wir müssen vorbereitet sein", betonte er. Den heimischen Wäldern und Mooren komme als CO2-Speicher eine besondere Bedeutung zu. Deshalb gelte es auch für künftige Generationen Strategien zu entwickeln. "Die Zukunft des Landkreises hängt davon ab, wie wir uns vor den Folgen des Klimawandels anpassen können", sagte er. Zugleich betonte er, dass Klimaschutz nicht gegen die Menschen betrieben werden dürfe, sondern sozial gerecht.
In Workshops sollen Ideen entwickelt werden, um vor Ort das Klima zu retten
Gerdesmeyer setzt darauf, dass sich künftig über Workshops viele Beteiligte einbringen und entsprechende Ideen entwickeln. Ziel sei es, dass der Landkreis auch koordiniere und den Kommunen beratend zur Seite stehe. Adrian Pfalzgraf vom beauftragten Berliner Büro Green Adapt hielt einen entsprechenden Einführungsvortrag zu Klimaveränderungen und Klimaanpassung mit Daten zum Landkreis Vechta. Er geht von einem Anstieg der Jahresmitteltemperatur gegenüber der Zeitspanne 1971 bis 2000 bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um etwa +2,1 Grad aus. Der Experte prognostiziert eine Verlängerung der Vegetationsphase, eine Zunahme an Hitzetagen und Trockenperioden sowie eine Abnahme von Kälteereignissen. Zugleich steigt demnach aber die Wahrscheinlichkeit für extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Stürme und außergewöhnliche Trockenheit. Der Jahresniederschlag soll sich dann mehr auf die Wintermonate konzentrieren.
Flammen im Moor: Dort wo es nass sein sollte, ist es im Sommer zu trocken. Dann wird CO2 freigesetzt, statt es zu speichern. Foto: M. Niehues
Pfalzgraf verwies darauf, dass die Klimafolgen bereits jetzt spürbar seien und zunehmen werden. Er zeigte diese an Dürren, Moorbränden und Starkregenereignissen der jüngsten Vergangenheit im Oldenburger Münsterland auf. Deshalb gelte es rechtzeitig vorzusorgen, um Klimaschäden zu mindern und Fehlinvestitionen zu vermeiden. Nur so könnten Lebensqualität und Wirtschaftsbedingungen langfristig gesichert werden.
Und wie geht es weiter nach dem Online-Auftakt? Das Projekt startet jetzt mit Experteninterviews. So soll erarbeitet werden, welche Handlungsfelder es gibt. Die Ergebnisse sollen im April bei Workshops mit den Kommunen und der Kommunalpolitik konkretisiert werden. Im Juni folgen 4 Fachworkshops mit regionalen Experten aus verschiedensten Bereichen, bevor Gesamtstrategien zu einer Entwurfsverfassung führen sollen. Im Mai 2023 soll dann das fertige Klimafolgenanpassungskonzept für den Landkreis Vechta stehen.
Bei einer Online-Podiumsdiskussion gingen Tobias Gerdesmeyer, Dr. Barbara Grabowski (Leiterin des Verbundes Transformationsforschung agrar Niedersachen sowie Mitglied des Vechta Institute of Sustainability Transformation in Rural Areas (VISTRA)), Dr. Bernhard Rump (Leiter Fachgruppe ländliche Entwicklung Landwirtschaftskammer, Bezirksstelle Oldenburg-Süd), Timo Kluttig (Klimafolgenanpassungsmanager Landkreis Osnabrück) und Professor Dr. Hartmut Kenneweg (Wissenschaftliche Projektleitung – Firma Luftbild Umwelt Planung (LUP) Potsdam) auf die drängenden Klima-Fragen der Region ein.
Immer mehr Landwirte wollen Beregnungsbrunnen bauen
Bernhard Rump sieht hier große Herausforderungen auf die Landwirtschaft zukommen. Klimatische Veränderungen seien seit 20 Jahren deutlich spürbar. Die Wasserverfügbarkeit sei für die Landwirtschaft von essentieller Bedeutung. Die natürliche Wasserverteilung habe sich geändert. Gerade im Juni, während der Wachstumsperiode, sei es zu trocken. Er erkenne eine Veränderung zum Kontinentalklima mit sommerlichen Temperaturen ab Mitte April und starker Frühjahrstrockenheit. Pflanzen seien dann mehr auf Regen- als auf Grundwasser angewiesen. Die Witterung halte zudem über mehrere Wochen an. Und in nassen Jahren würden die Bauern ihre Ernte nicht von den Feldern bekommen. Der Experte der Landwirtschaftskammer registriert derzeit eine deutliche Zunahme von Landwirten der Region, die deshalb Beregnungsbrunnen bauen wollen.
Soll künftig mehr Wasser speichern: Das Moor im Landkreis Vechta, hier in Goldenstedt. Foto: M. Niehues
"Wir müssen uns das Wassermanagement auf die Fahnen schreiben", sagte er und forderte einen rechtzeitigen Start. "Sonst gibt es ein Hauen und Stechen." Bernhard Rump sagte, die Zeit des Drainagenbaus sei vorbei. Früher habe man das Wasser abgeführt. Das Nass müsse jetzt aber in den Flächen bleiben und gespeichert werden. "Wir haben nicht so viel Wasser, um damit verschwenderisch umgehen zu können", betonte er.
Timo Kluttig berichtete über die Erfahrung beim Erstellen eines Klimakonzeptes für Osnabrück. Der Prozess habe das Bewusstsein geschärft und viele Wissenslücken geschlossen. Mit Bürgerinnen und Bürgern sei besprochen worden, was zu tun sei. Alle Beteiligten hätten dabei gelernt, dass das, was an Klimawandel auf sie zukomme, "schon dramatisch" sei.
Die Wissenschaftlerin Barbara Grabowski nannte Herausforderungen des Transformationprozesses und verwies darauf, dass die Primärproduktion der Landwirtschaft schon jetzt "mit dem Rücken zur Wand" stehe. Es gelte die Akteure mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass "alle gut davon leben können". Es sei wichtig klug, transparent und partnerschaftlich zu agieren. Die Veränderungen seien auch mit einem Loslassen von Gewohnheiten verbunden. Der Wandel könne Fortschritt bedeuten. Es müsse sorgsam darauf geachtet werden, "dass es keine Verlierer gibt".
Moore, Wälder und Böden stehen im Fokus
Hartmut Kenneweg als wissenschaftlicher Projektleiter verwies auf die drei Bereiche, die zur Senkung der Treibhausgase im Fokus stehen, die Moore, die Wälder und die Böden. Bei den Wäldern seien die Konflikte mit der Forstwirtschaft vorprogrammiert. Die höchste Speicherfähigkeit von CO2 würden Bäume im Alter von 40/50 Jahren aufweisen. Wenn die Speicherung optimiert werden solle, müsse mit schnell wachsenden Baumarten gearbeitet werden.
Auch der Boden speichere erhebliche Mengen Kohlenwasserstoff. Die Effekte seien abhängig von der Bewirtschaftung. Die Humusanreicherung sei anzustreben. Die Moore, so der Professor, "sind im Kreis Vechta das wichtigste Thema". Hier müsse die Wiedervernässung sichergestellt sein, damit der positive Effekte nicht ins Negative drehe. Die Probleme mit der landwirtschaftlichen Nutzung seien vorhersehbar.
Die damit verbundenen Konflikte zeigte Bernhard Rump auf. "Früher haben wir Leute hingesiedelt und das Moor urbar gemacht", sagte er. Wenn jetzt eine Wiedervernässung angestrebt werde, dann müsse man sich "damit auseinandersetzen, dass Leute dort ihre Heimat verlieren". Die Herausforderungen seien immens. Wenn dies überhaupt sinnvoll und machbar sei, müsse überlegt werden, wie viel Geld in die Hand genommen werden müsse, um Betroffene zu entschädigen, sagte der Experte der Landwirtschaftskammer und zog Vergleiche mit Regionen des Braunkohletagebaus.
Gerdesmeyer: Konzept gelingt nur gemeinsam
Landrat Tobias Gerdesmeyer machte deutlich, dass für das Konzept die Landwirte als Partner benötigt werden und nicht gegen Betroffene agiert werden dürfe. Die Transformation, auch die des Tierwohls, habe finanzielle Auswirkungen für die Landwirtschaft. "Es geht nur mit den Landwirten", betonte er. Deshalb müsse es entsprechende Entschädigungen geben. Auch bei der Photovoltaik und der Windenergie seien die Landwirte wichtige Partner.
Insgesamt sieht Gerdesmeyer gute Chancen für den Landkreis, sich auf die Veränderungen einzustellen. Alle Akteure seien bestens miteinander vernetzt. Die Unternehmen seien innovativ. Ein erfolgreiches Konzept könne auch durchaus als Blaupause für andere Regionen dienen und Exportschlager werden, stellte er in Aussicht. Wichtig sei es, mutig in die Zukunft zu gehen und die Bevölkerung mitzunehmen. Er gehe "optimistisch ins laufende Verfahren", ließ er die Teilnehmer der Diskussionsrunde wissen.
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