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Kritik an Medienberichten: "Suchtkranke Menschen wurden nicht im Stich gelassen"

Die Leiterin der Suchtberatungsstelle in Vechta verweist auf die Fortführung der Angebote in der Corona-Pandemie.  Die Zahl der Ratsuchenden ist im Berichtsjahr gestiegen.

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Neues Gesicht in der Suchtberatungsstelle: Leiterin Bettina Albrecht freut sich auf die Zusammenarbeit mit Lars Möller. Er hat die Nachfolge von Franz Oevermann angetreten, der sich nach mehr als 30-jähriger Tätigkeit in den Ruhestand verabschiedete. Foto: Speckmann

Neues Gesicht in der Suchtberatungsstelle: Leiterin Bettina Albrecht freut sich auf die Zusammenarbeit mit Lars Möller. Er hat die Nachfolge von Franz Oevermann angetreten, der sich nach mehr als 30-jähriger Tätigkeit in den Ruhestand verabschiedete. Foto: Speckmann

Diplom-Sozialpädagogin Bettina Albrecht schüttelt den Kopf, wenn sie auf die jüngsten Schlagzeilen zum Thema „Suchthilfe“ blickt. Unter Berufung auf Experten wird in Medienberichten der Eindruck erweckt, dass hilfsbedürftige Menschen während des Lockdowns allein gelassen worden seien. Diese Darstellung will die Leiterin der Suchtberatungsstelle in Vechta so nicht stehen lassen.

"Es ist in keiner Weise so, dass suchtkranke Menschen im Stich gelassen wurden", sagt Albrecht. Sie wehrt sich gegen die Verallgemeinerung und sieht sich im Engagement vieler Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen aus anderen Regionen, mit denen sie vernetzt sei, bestätigt. Auch dort hätten die Äußerungen, unter anderem aus der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen, hohe Wellen geschlagen.

Albrecht verweist auf die Praxis in ihrem Hause und lenkt den Blick auf den unlängst veröffentlichten Jahresbericht 2020. Die Beratungsstelle unter dem Dach des Vereins für soziale Dienste Vechta (SKM) sei trotz der Corona-Pandemie die ganze Zeit für die Klienten da gewesen, habe ihre Angebote aufrechterhalten und unter den schwierigen Rahmenbedingungen neue Lösungen gefunden.

"Die Pandemie und ihre weitreichenden Auswirkungen haben alle ambulanten Beratungsdienste vor eine nie dagewesene Herausforderung gestellt."Bettina Albrecht, Leiterin der Suchtberatungsstelle des Vereins für soziale Dienste Vechta (SKM)

„Die Pandemie und ihre weitreichenden Auswirkungen haben alle ambulanten Beratungsdienste vor eine nie dagewesene Herausforderung gestellt“, erläutert die Sozialpädagogin. Der Alltag der Berater und Klienten habe sich grundlegend geändert. Durch die Kontaktbeschränkungen seien bis dahin unbekannte Stresssituationen entstanden, die in den Zielgruppen zu persönlichen Krisen geführt hätten.

Der erste Lockdown im Frühjahr 2020 habe zunächst zu einer zwar ausgeweiteten, jedoch zeitweise ausschließlich telefonischen Beratung von Klienten geführt. Nach einigen Wochen seien aber wieder vermehrt persönliche Gespräche angeboten worden, erklärt Albrecht rückblickend. Inzwischen werde der Großteil der Beratungen wieder im Hause durchgeführt, nur wenige Personen würden den Besuch meiden.

557 Personen nutzen Beratungsangebot

Aus dem Jahresbericht geht allerdings auch hervor, dass das Gruppentraining zur Rückfallprävention pandemiebedingt für etwa 2 Monate eingestellt werden musste. Doch dann seien die Rahmenbedingungen angepasst und Treffen in kleinen Gruppen und unter strengen Abstands- und Hygienebestimmungen angeboten worden. Die Zahl der Termine habe sich gegenüber dem Vorjahr nicht wesentlich verändert.

Die Zahl der Kontakte ist im Berichtsjahr sogar gestiegen. Insgesamt 557 Personen haben die Beratungs- und Vermittlungsangebote der Suchtberatungsstelle in Vechta sowie die Außensprechstunden in Damme in Anspruch genommen. Im Jahr 2019 waren es 536 Personen. Das Geschlechterverhältnis bei den Ratsuchenden ist über die letzten Jahre etwa gleichgeblieben: Rund 2 Drittel sind Männer.

Alkohol gilt immer noch als Suchtproblem Nummer 1. Der Anteil an Klienten mit einer entsprechenden Abhängigkeit ist sogar von 35 auf 41,7 Prozent gestiegen. Cannabis-Konsumenten bilden die 2.-größte Gruppe. Ihr Anteil hat leicht zugenommen und beträgt nun 27,3 Prozent. Hier sind 9 Personen sogar jünger als 16 Jahre. Der Anteil der von Glücksspielsucht betroffenen Menschen liegt bei 11,2 Prozent.

Anfragen von Angehörigen nehmen zu

In vielen Fällen ist professionelle Hilfe gefragt, um der Suchterkrankung zu begegnen. Die Beratungsstelle hat allein im vergangenen Jahr 65 Klienten in eine stationäre Therapie vermittelt. Das sind zwar 7 Personen weniger als im Vorjahr, aber laut Albrecht ist es aufgrund der pandemiebedingten Aufnahmebeschränkungen zuletzt deutlich schwieriger gewesen, die Betroffenen in einer Einrichtung unterzubringen.

Schon seit einigen Jahren registriert die Beratungsstelle in Vechta ein zunehmendes Interesse von Angehörigen, an denen die Schwierigkeiten der suchtgefährdeten und suchtkranken Menschen nicht spurlos vorbeigehen. „Häufig nehmen sie viel früher wahr, dass etwas nicht stimmt. Auch ihr Alltag wird vom Suchtproblem bestimmt. Sie sind enormen Stress- und Belastungsfaktoren ausgesetzt“, weiß die Sozialpädagogin aus den Gesprächen.

Großer Zulauf in den offenen Sprechstunden

Für eine erste Kontaktaufnahme bietet sich auch die Onlineberatung an, die im Sommer 2020 eingeführt worden ist. Diese könne die persönliche Beratung nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen, so Albrecht. Ziel der schwellenlosen Kontaktaufnahme sei es, den Schritt in die Beratungsstelle zu erleichtern, um langfristig weiterführende Hilfen vermitteln zu können. Dies habe im ersten Jahr bereits erfolgreich geklappt.

Großen Zulauf registriert das 7-köpfige Team in den offenen Sprechstunden. Hier hat sich das Aufkommen im vergangenen Jahr mit mehr als 200 Ratsuchenden fast verdoppelt. Die Gründe führt Albrecht vor allem auf die Pandemie zurück: „Durch Lockdown und Kontaktbeschränkungen haben die meisten Menschen mehr Zeit zu Hause verbracht. So sind zum Beispiel problematische Verhaltensweisen und Konsummuster stärker aufgefallen.“

Aufgrund des großen Bedarfs und der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft habe sich der Trägerverein dazu entschlossen, auf Kurzarbeit zu verzichten und an den Angeboten festzuhalten. Die Erfahrungen in der Pandemie hätten sogar zu einer Erweiterung der Angebote geführt. So würden im Präventionsbereich sowohl Hybrid-Veranstaltungen mit Schulklassen als auch digitale Elternabende angeboten. „Wir sind gerade jetzt gefordert“, meint Albrecht.

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