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Kreßmann: Der Wind weht auch im Süden

Essens Bürgermeister sieht die Entwicklung seiner Gemeinde durch den Bau neuer Stromleitungen gefährdet. Die Energiewende sei zwar notwendig, ihre Umsetzung müsse aber hinterfragt werden, sagt er.

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Dicke Ordner: Heiner Kreßmann beschäftigt derzeit das neue "LanWin"-Projekt des Netzentwicklers Amprion. Foto: G. Meyer

Dicke Ordner: Heiner Kreßmann beschäftigt derzeit das neue "LanWin"-Projekt des Netzentwicklers Amprion. Foto: G. Meyer

Da kommt was auf Essen zu: Mindestens fünf Stromleitungen werden demnächst wohl das Gemeindegebiet queren. Vier von ihnen sollen das zwar unterirdisch tun, aber Heiner Kreßmann ist trotzdem besorgt. Denn die neuen Stromautobahnen, davon ist der Bürgermeister inzwischen überzeugt, werden die Ausweisung weiterer Wohn- und Gewerbegebiete und damit die gesamte Entwicklung deutlich erschweren. 

"Sehen Sie sich das an", sagt Kreßmann und legt eine Karte auf den Tisch. Sie zeigt die Leitungsbauvorhaben im Nordwesten. Darauf erkennbar ist, dass sich verschiedene Korridore rund um Essen  bündeln. "Und das sind nur die bislang bekannten", erklärt Kreßmann. Um den in der Nordsee erzeugten Windstrom in den Süden zu transportieren, wo er vor allem benötigt wird, dürften nämlich noch weitere Kabel folgen. Einstweilen muss sich Essens Verwaltung mit drei größeren Projekten auseinandersetzen:

Besonders die LaWin-Projekte treiben Kreßmann um

1. Die 380-KV-Freileitung zwischen Conneforde und Merzen: Sie soll westlich am Hauptort vorbeiführen. Das Verfahren ist bereits weit fortgeschritten. Leichte Verschiebungen sind noch möglich. So ist unter anderem noch nicht geklärt, ob die Wechselstrom-Trasse näher an die Ortschaft Ahausen heranrücken wird.

2. Die Gleichstromleitungen "DC 25 und DC 21": Die Erdkabel-Verbindungen sind Teil des sogenannten „B-Nord Korridors“. Der Offshore-Strom wird von Wilhelmshaven, beziehungsweise Schleswig-Holstein aus auf die Reise Richtung Nordrhein-Westfalen geschickt. Im südlichen Kreis Cloppenburg treffen die Leitungen zusammen. 

3. "LanWin 1" und "LanWin 3". Der Netzbetreiber Amprion hat das Projekt Anfang November vergangenen Jahres bekannt gegeben. „Lan“ steht für Langeoog. Die beiden Gleichstromleitungen sollen eine Übertragungsleistung von jeweils 2000 Megawatt erreichen. Die Inbetriebnahme ist für 2031 und 2033 geplant.

Besonders die beiden "LanWin"-Projekte treiben Heiner Kreßmann derzeit auf die Zinne. Als seine Verwaltung über das Vorhaben in Kenntnis gesetzt wurde, war Eile geboten. "Zuvor hatten wir noch nie davon gehört. Wir hatten im Prinzip nur zehn Tage Zeit, um die Unterlagen durchzuarbeiten und uns auf die Antragskonferenz vorzubereiten." Diese fand Anfang Dezember in virtueller Form statt. Beteiligt waren alle betroffenen Kommunen – von der Nordsee bis ins Osnabrücker Land, wo die Trassen in Ostercappeln und Wehrendorf bei Bad Essen enden sollen. Kreßmann bezeichnet den Ablauf als "fragwürdig" und bereitet gerade eine eigene Stellungnahme vor. 

Erdkabel könnten Planungen durchkreuzen

Dass die Gemeinde im Vorfeld nicht in die Planungen einbezogen wurde, ärgert den Bürgermeister sichtlich. Denn während die Netzentwickler bei der Festlegung der Leitungskorridore lediglich die aktuellen Raumwiderstände beachten, denkt das Rathaus mindestens eine bis zwei Dekaden weiter. "Eine Gemeinde ist immer in Bewegung, die nächsten Entwicklungsschritte sind schon in unseren Köpfen", erklärt Kreßmann. Er fürchtet nun, dass sie dort auch bleiben könnten, wenn die Erdkabel zu nah an mögliche Baugebiete heranrücken oder diese sogar durchkreuzen. Bereits jetzt werde die Flächensuche immer schwieriger. Hinzu kämen die bevorstehenden Veränderungen in der Landwirtschaft. Im schlimmsten Fall, so sieht es Kreßmann, könnte die Energiewende die gute wirtschaftliche Entwicklung in Essen stoppen.  

Für den Bürgermeister wäre das ein zu hoher Preis. Gegen den Ausbau der "Erneuerbaren" hat er eigentlich gar nichts. Zwischen Ems und Weser gehe es jedoch immer enger zu. "Der Nordwesten wird offenbar nur noch als Durchzugsgebiet benötigt. In Hannover und Berlin übersehen sie dabei aber, welche Veränderungen sich hier in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen haben und dass es viele Menschen und Unternehmen herzieht."

Kreßmann hinterfragt zudem den ökologischen Nutzen der Winderzeugung auf See. "Auch die Herstellung des Leitungsnetzes kostet viel Energie. Das sollte man vielleicht einmal gegenrechnen." Sein Vorschlag: "Der Wind weht auch im Süden."

Bayern genehmigt kaum neue Windräder

Damit trifft der Essener einen wunden Punkt. Denn in Süddeutschland stehen derzeit weit weniger Windräder als im Norden, obwohl dort besonders viel Strom verbraucht wird. In ganz Bayern etwa  wurden in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres gerade einmal sechs Anlagen genehmigt, aber kein einziger neuer Genehmigungsantrag  gestellt. Das geht aus einer Antwort des bayerischen Wirtschaftsministeriums auf Anfrage der Grünen im Landtag hervor, die der Deutschen Presse-Agentur  vorliegt.  Im Freistaat muss der Abstand eines Windrades zur nächsten Wohnsiedlung in der Regel mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen – bei 200 Metern Rotorhöhe wären das also zwei Kilometer. 

Dass die Windkraft mancherorts derart ausgebremst wird, stößt auch bei der neuen Bundesregierung unangenehm auf. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Krischer (Grüne), appellierte jetzt an die Kooperationsbereitschaft der Länder. „Keine Landesregierung wird sich dem notwendigen Ausbau entziehen können“, sagte er der „Rheinischen Post“. Sein Chef, Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, hatte noch vor wenigen Tagen erklärt, den Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne massiv beschleunigen zu wollen.

Mit Robert Habeck würde er gern über die Klimapolitik diskutieren, sagt Heiner Kreßmann. Klar, der Kampf gegen die Klimaerwärmung müsse weitergehen, ist auch er überzeugt. „Was aber hier passiert, ist Verhinderungsplanung.“

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