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Kettenreaktion – jeder kann als Teil eines Ganzen etwas bewirken

Kolumne: Menschen, die für Frieden demonstrieren, bringen Waffen nicht unmittelbar zum Schweigen. Doch je mehr Menschen sich auf diesen Weg begeben, desto weniger Macht haben am Ende Kriegstreiber.

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"Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" – dieses, offenbar häufig fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeschriebene und abgewandelte Zitat, nutzte die Friedensbewegung schon in den 1970er und 1980er Jahren. Auch heute wäre dessen Umsetzung in die Realität mit das Beste, was die Menschheit vollbringen könnte.

Stellen Sie sich alternativ vor, es ist Krieg und nur einer geht hin: Ein völlig durchgeknallter Diktator schaut aus einem Panzer heraus, der mitten auf einem nur in seiner Fantasie existierenden Schlachtfeld steht. Dieses wird umsäumt von Tausenden Menschen, die sich an den Händen halten – von Menschen, die hingegangen sind, um eine Friedenskette zu bilden. Und der verhinderte Kriegstreiber – nennen wir ihn stellvertretend Putin – wäre eingekreist, wüsste nicht, in welche Richtung er zuerst schießen soll. Die Kette würde sich nach jedem Schuss wieder schließen, ihm in Dauerschleife "Give peace a chance" in die Gehörgänge blasen, bis ihm die Munition ausgeht.

"Mein einziges Risiko war es, durch den strömenden Regen einen Schnupfen zu bekommen."Sonja Gruhn, Redakteurin

Ja, ich habe mich eingereiht in die Friedenskette zwischen Münster und Osnabrück am 1. Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Und ich habe mich dabei nicht in Gefahr begeben, verletzt oder getötet zu werden, wie unzählige Helfer, die in Kriegsgebieten auf der ganzen Welt unterwegs sind. Mein einziges Risiko war es, durch den strömenden Regen einen Schnupfen zu bekommen. Meine Vermieter, beide im Ruhestand und Demo-erfahren, hatten mich vor Wochen gefragt, ob ich mitkommen will. Wollte ich.

Mit unseren beiden Friedens-Flaggen zwischen uns konnten wir gut 5 Meter der 50 Kilometer langen Strecke abdecken. Kurz vor Beginn der Aktion um 16 Uhr standen Menschen links und rechts von uns so weit das Auge reichte. Während Autos und Lkw an uns vorbeibrausten, hörten wir die Glocken zur Schweigeminute aufrufen. Um 16.08 Uhr spielten mehrere Radiosender John Lennons Song "Give peace a chance". Einen der Sender ließ ich auf meinem Handy laufen, um mit einzustimmen – und erntete erstaunte Blicke.

Eine Menschenkette für den Frieden ist am 24. Februar 2023 zwischen Münster und Osnabrück gebildet worden. Foto: GruhnEine Menschenkette für den Frieden ist am 24. Februar 2023 zwischen Münster und Osnabrück gebildet worden. Foto: Gruhn

Offenbar hatten nicht alle das Aktions-Programm gelesen. Ich ließ mich nicht beirren, sang in ostwestfälischer Ekstase – wie mein Vermieter es nennt – mit und bekam Unterstützung von denen, die nah genug standen. Und dann – völlig unspektakulär – war alles nach wenigen Minuten vorbei. Die Kette löste sich auf, die Menschen zerstreuten sich. Etwa 20.000 sollen es auf der gesamten Strecke gewesen sein.

Manche von Ihnen, liebe Leser, werden sich fragen, warum ich hingegangen bin, wenn ich unmittelbar damit nichts ändern kann. Ich will zeigen, dass es mir nicht egal ist, wenn es Kriege gibt – und dass ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass immer mehr Menschen ebenso denken und die Diktatoren dieser Welt schließlich alleine auf ihren Schlachtfeldern hocken. PS: Der Verfasser des anfangs erwähnten Zitates soll laut Wikipedia der US-amerikanische Autor Carl Sandburg sein.


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