Jürgen Schiering geht in den Ruhestand. Am Freitag (27. Januar) verabschiedet das Gymnasium Lohne seinen langjährigen Schulleiter. Im Interview mit OM-Medien spricht der Oberstudiendirektor über die anstrengendste Phase seines Berufslebens, digitale Bildung – und die Schule der Zukunft.
Herr Schiering, seit dem Sommer 2009 sind Sie als Direktor am Gymnasium Lohne tätig. Sie haben fast 14 Jahre lang die Entwicklung der Schule maßgeblich geprägt. Jetzt steht Ihr Abschied bevor. Wie fühlt sich das an?
Es ist schon ein etwas komisches Gefühl: Ein bisschen Wehmut, aber auch Vorfreude auf die kommende Zeit. Und in der Rückschau bin ich sehr zufrieden. Diese Schule hat mir immer gute Arbeitsbedingungen geboten.
Was werden Sie besonders vermissen?
Das Kollegium, die Mitarbeiter, die Schüler. Da gibt es jetzt keine Reihenfolge. Auch die Eltern und den Schulträger. In Lohne und der Region kann man Vieles bewegen – und findet immer Unterstützung.
Und was wird Ihnen sicherlich nicht fehlen?
Der Terminkalender.
Können Sie das noch etwas weiter ausführen?
Man war doch oft fremdbestimmt. Auch manches an der Schulpolitik werde ich nicht vermissen. Wir Schulen sind doch oft nur ein Spielball – und das ist nicht schön.
Beziehen Sie sich auf ein konkretes Thema?
Ich denke dabei beispielsweise an Corona. Das war eine sehr schwierige Zeit, die natürlich für alle Beteiligten herausfordernd war. Dennoch war es katastrophal, dass wir für gewöhnlich freitags ab 18 Uhr darüber informiert wurden, was wir montags machen sollten.
War die Pandemie die anstrengendste Phase Ihres Berufslebens?
Ja. Es war für mich bis dahin unvorstellbar, dass ich einmal Schülern sagen muss: Die Schule fällt wochenlang aus. Ihr bleibt zu Hause. Das hat mich schon sehr getroffen. Es kam Vieles zusammen: Das Schulsystem wurde von Corona überrumpelt. Niemand war darauf eingestellt, Schüler online zu unterrichten. Die technischen Voraussetzungen waren nicht vorhanden. Es ging einiges schief. Wir Lehrer hatten keinerlei Erfahrungen mit Online-Unterricht. Eltern waren aufgeregt. Schüler waren aufgeregt. Kollegen waren aufgeregt. Alle zu Recht. Das war wirklich schwierig.
Fakt ist aber auch, dass Corona für die Digitalisierung der Schulen ein Beschleuniger war. Wie stehen Sie zur digitalen Bildung?
Damit muss sich Schule auseinandersetzen. Am Gymnasium Lohne haben wir in diesem Bereich zuletzt viele Schritte auch dank des Schulträgers gemacht. Der Landkreis Vechta hat sehr schnell reagiert und die gesamte Infrastruktur auf einen exzellenten Stand gebracht. Jetzt stehen wir vor der großen Frage: Wo ist der Einsatz digitaler Medien sinnvoll? Wir befinden uns noch in einer Phase des Ausprobierens. Was darf bleiben? Was kann ersetzt werden? Eine Lehre von Corona ist aber auch: Der Lehrer in der Klasse ist durch nichts zu ersetzen. Sein Umgang mit den Schülern ist das entscheidende Element für gute Bildung.
Das größte Bauprojekt unter Ihrer Ägide war das neue Oberstufenhaus. Ist das die Schule der Zukunft?
Wir sind jetzt hervorragend aufgestellt. Durch den Neubau eröffnen sich Möglichkeiten, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten. Wir können den Unterricht ganz individuell gestalten oder Klassenunterricht machen. Es geht alles. Das Gebäude ist wirklich so geworden, wie wir es uns gewünscht hatten.
Bleiben wir auf der baulichen Ebene: Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial beim Gymnasium Lohne?
Das Hauptgebäude kommt natürlich mehr und mehr in die Jahre. Da gibt es einige Stellen, an denen man bald etwas machen muss, um es auf den aktuellen Stand zu bringen.
Sie meinen unter anderem den Verwaltungstrakt?
Das ist die nächste große Baustelle, die jetzt ansteht. Dazu gibt es aber konkret noch keinen Termin. Das ist eine erste Aufgabe für meinen Nachfolger.
Apropos: Derzeit ist die Nachbesetzung noch nicht geklärt. Liegt es daran, dass ein Schulleiter eher als Verwalter eingespannt ist und nicht als Pädagoge?
Ich glaube, vieles hängt weiterhin mit Corona zusammen. Der hohe Zeitaufwand schreckt sicherlich den einen oder anderen ab. Ich möchte aber betonen: Es ist wichtig, dass ein Schulleiter pädagogische Erfahrungen hat. Nur so kann er Entscheidungen aus der Perspektive der Lehrkräfte beurteilen.
Wie sehen Sie das Gymnasium Lohne pädagogisch für die Zukunft aufgestellt?
Die Schule hat ein breites Angebot. Wir haben zuletzt Fächer wie Spanisch als 2. Fremdsprache aufgenommen. Im kommenden Schuljahr kommt Informatik als Pflichtfach in der Klasse 10 hinzu. Auch die Oberstufenreform hat neue Optionen geschaffen. So bieten wir jetzt Musik als 5. Prüfungsfach an. Bei unserem Schwerpunkt Musical/Musik an der Schule ist das eine tolle Sache.
Wohin geht die Reise in der Bildungslandschaft?
Da muss man jetzt abwarten, was die neue rot-grüne Landesregierung so plant. Kultusministerin Julia Willie Hamburg hat ja schon Andeutungen gemacht.
Gehen wir mal konkret darauf ein: Die Abschaffung von Noten . . .
. . . ist keine Option.
Wie bewerten Sie die Idee, Verwaltungsassistenten an Schulen einzusetzen?
Dieses Personal könnte sicherlich zur Entlastung der Schulleitungen und der Lehrkräfte beitragen.
Die Binnendifferenzierung, also die individuelle Förderung aller Schüler einer Klasse, nimmt im Unterricht eine immer größere Bedeutung ein.
Das ist nicht immer einfach umzusetzen. Wir haben es während der Flüchtlingswelle 2015/16 erlebt. Jetzt haben wir derzeit etwa 20 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an unserer Schule. Bis diese Schüler dem Fachunterricht folgen können, dauert es einfach – trotz intensivem Deutschlernen.
Was war für Sie ein Höhepunkt Ihrer Zeit am Gymnasium Lohne?
Das war die Fahrt mit der gesamten Schule zum Gardasee im Jahr 2018, als Krönung der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen. Sich mit 1500 Menschen auf den Weg zu machen und diese Reise zu erleben, war ein unvergessliches Ereignis.
Und ein Tiefpunkt?
Corona.
Was kann ein Schulleiter leisten?
Er kann Rahmenbedingungen schaffen. Er kann die Abläufe so organisieren, dass die Lehrkräfte wirken können, wie sie es gerne möchten. Er kann das Arbeits- und Lernklima einer Schule positiv beeinflussen. Ob mir diese Dinge gelungen sind, mögen andere beurteilen. Aber ich habe schon den Eindruck: Das Gymnasium Lohne ist eine gut funktionierende Schule. Darauf bin ich stolz.
Trotzdem ist es auch so, dass sich ein Schulleiter nicht immer nur Freunde macht. Wie sind Sie damit umgegangen?
Das gehört zum Posten dazu. Es gibt immer Entscheidungen, bei denen ein anderer sagt: Das sehe ich völlig anders. So etwas nimmt man manchmal auch mit nach Hause.
Welche Bilanz ziehen Sie nach fast 14 Jahren als Schulleiter?
In der Summe fällt mein Resümee sehr positiv aus. Wir haben die Schule vorangebracht, sowohl inhaltlich als auch was die Möglichkeiten der Ausstattung, des Gebäudes angeht. Da sind wir auf einem Stand, der sich wirklich sehen lassen kann. Ein Dank gilt an dieser Stelle dem Landkreis Vechta.
Was wünschen Sie dem Gymnasium Lohne?
Die Schule sollte offen bleiben für Veränderungen und gleichzeitig die gute Atmosphäre, die hier herrscht, weiter pflegen. Ich kann mir keine bessere Schulgemeinschaft vorstellen.
Wie geht es für Sie in der Zukunft weiter?
Ich freue mich darauf, mehr reisen zu können. Ich möchte mich gesellschaftlich stärker engagieren. Das ist in den vergangenen Jahren aufgrund beruflicher Verpflichtungen deutlich zu kurz gekommen.
Was haben Sie an Ihrem ersten Tag nach etwa 50 Jahren Schule vor?
Ich fahre eine Woche in den Winterurlaub. Ich wollte auch geografisch Distanz schaffen, weil ich noch nicht weiß, wie sich die ersten Tage als Pensionär wirklich anfühlen werden.
Glauben Sie denn, dass Sie in ein Loch fallen?
Nein. Die Schule wird mir fehlen. Aber jetzt bin ich gespannt, was Neues auf mich zukommt und hoffe, dass ich die Entwicklungen noch möglichst lange bei ordentlicher Gesundheit erleben darf.
Fakten:
- Jürgen Schiering ist 66 Jahre alt, ledig und wohnt in Badbergen.
- Der Oberstudiendirektor leitet das Gymnasium Lohne seit dem 1. August 2009.
- Nach seinem Studium in Hannover und Osnabrück und dem Referendariat war er an verschiedenen Schulen im Landkreis Osnabrück tätig. Bis zu seinem Wechsel nach Lohne war Schiering ständiger Vertreter des Schulleiters am Gymnasium Bramsche.
- Seine Unterrichtsfächer sind Mathe, Physik und Sport.
- Jürgen Schiering wird am Freitag (27. Januar) im Gymnasium Lohne offiziell verabschiedet.
- Wer die Nachfolge von Jürgen Schiering antritt, steht noch nicht fest. "Das Nachbesetzungsverfahren ist noch nicht beendet", teilt das niedersächsische Kultusministerium auf Anfrage mit.
- Die Schulleitungsstelle werde zum 1. Februar 2023 frei, heißt es. "Wir streben eine zeitnahe Besetzung an."
- Ob dies so einfach gelingt, ist fraglich. Der Dienstposten wurde bisher 2-mal im Schulverwaltungsblatt ausgeschrieben.
- Übrigens: Zwar liegen die dienstrechtlichen Befugnisse zur Besetzung der Schulleitungsstelle beim Kultusministerium. Nach Beendigung des Besetzungsverfahren erfolgt die Aushändigung des Erlasses "Übertragung des Dienstpostens" aber durch das zuständige Regionale Landesamt für Schule und Bildung.