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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Der erste Schultag: Ich freute mich aufs Lernen. Heute tun mir die Kinder leid. Der Tag verkommt zu einem Ausnahmezustand in vielen Familien.

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An diese Worte von Hermann Hesse habe ich mich erinnert, als ich einen Artikel über die Einschulung der neuen Erstklässler am letzten Samstag gelesen habe. Von einem Ausnahmezustand in vielen Familien war da die Rede. Und von Einschulungsfeiern zu Hause mit 30 Personen, Festtagsprogramm und Geschenken. Der Einschulungstag würde wegen hoher Erwartungen an eine perfekte Feier schnell überfrachtet und oft in Stress und Hektik enden, resümierte eine Psychotherapeutin.

Dabei brauche das einzuschulende Kind genau das Gegenteil. Wichtig sei es, eine Vertrauensbasis zwischen Eltern, Kindern und Schule zu schaffen. Außerdem gebe es einen Satz, den Eltern unbedingt vermeiden sollten: "Jetzt bist du schon groß." Dadurch werde viel Druck aufgebaut und dem Kind unnötig Verantwortung aufgeladen. Dem kann ich nur zustimmen. Nur einem entspannten Schulanfang kann ein Zauber innewohnen!

Da war mein eigener Schulstart im April 1963 schon das Kontrastprogramm zu den heutigen Einschulungsfestivals. Meine Mutter brachte mich zur Schule. Mein Vater kam natürlich nicht mit. Die Bäckerei ging vor. Im Arm hatte ich eine kleine Schultüte. Die war zu Hause gebastelt worden. Eine Schultüte zu kaufen, dafür war das Geld zu schade. Die Tüte war ohnehin mehr Schein als Sein. Ihr einziger Inhalt: ein paar Bonbons und einige Buntstifte. Sonst gähnende Leere.

„Heute tun mir die Kinder leid, die schon am ersten Schultag die Hauptakteure eines für sie veranstalteten Eventprogramms sind.“

In der Schule dann ein paar freundliche Worte. Das "Fräulein Lehrerin" nahm die Aufteilung in die Parallelklassen vor und die Regelung von ein paar organisatorischen Dingen. Dann war der offizielle Teil auch schon vorbei und ich ging wieder mit den Mitschülern nach Hause, die ich schon vom Kindergarten her kannte. Meine Mutter war schon vorher heimgekehrt, weil das Geschäft ja wartete. Und zurück im Elternhaus dann noch ein bisschen feiern? Pustekuchen! Ganz normaler Alltag. Hatte ich auch nicht erwartet. War ja nur die Einschulung!

Dafür hörte ich an diesem Tag noch mehrmals den Satz: "Jetzt beginnt der Ernst des Lebens!" Diese Äußerung war zu diesem Zeitpunkt für mich nichts Bedrohliches. In der Schule waren doch alle richtig nett gewesen. Dass mich die "Lehrerfräuleins" als Linkshänderin in den folgenden Jahren auf das Schreiben mit der rechten Hand umdressieren würden, konnte ich noch nicht ahnen. Ich freute mich auf die Schule. Für mich war er damals spürbar, der Zauber des Anfangs eines neuen Lebensabschnittes. Auch ohne Feier und sonstigem Brimborium.

Heute tun mir die Kinder leid, die schon am ersten Schultag die Hauptakteure eines für sie veranstalteten Eventprogramms sind. Wenn sich diese vermeintliche Fürsorge im Schulalltag in Form von Elterntaxi und anderen Annehmlichkeiten fortsetzt, ist es um die Förderung der Selbstständigkeit sicherlich nicht gut bestellt. Wie so oft im Leben gilt auch hier die alte Weisheit: "Weniger ist mehr"!


Zur Person:

  • Elisabeth Schlömer wohnt in Cloppenburg.
  • Sie war Leiterin des Ludgerus-Werkes Lohne bis zu ihrem Ruhestand 2019. Momentan ist sie ehrenamtlich tätig bei den "Machern – zu jung, um alt zu sein".
  • Die Autorin erreichen Sie unter: redaktion@om-medien.de.

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