Homosexuelle und der Katholizismus: Die Kirchenpolitik macht in Stapelfeld Station
Die Aktion "Out in Church" will das kirchliche Arbeitsrecht reformieren. Protagonisten sprachen jetzt in der Stapelfelder Akademie. Ihre Erfahrungen hinterlassen Beklommenheit – und brennende Fragen.
Der Film "Wie Gott uns schuf" im Verbund mit der Aktion "Out in Church" sorgte im Januar für viel Aufmerksamkeit. Foto: dpa
Nicht konform sein – die Forderung nach einem Recht darauf stand im Mittelpunkt eines Themenabends an der Katholischen Akademie Stapelfeld (KAS) am Montag. Konkret ging es um die Situation queerer Menschen (siehe Fakten) in der katholischen Kirche.
Zu Gast waren Protagonisten der Aktion "Out in Church – Für eine Kirche ohne Angst": Die Aktion hatte vor einem Monat im Verbund mit der TV-Dokumentation ("Wie Gott uns schuf") und einer Kampagne in den sozialen Netzwerken für Aufruhr in der katholischen Szene Deutschlands gesorgt: Mehr als 100 ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter der Kirche – auch Priester – hatten sich darin als queer geoutet. Und sich damit – sofern sie im kirchlichen Dienst arbeiten oder eine Anstellung anstreben – arbeitsrechtlich angreifbar gemacht.
Denn: Bisher sieht die Grundordnung des katholischen Arbeitsrechts in Deutschland vor, dass Mitarbeitern vor allem in Verkündigungsberufen (also etwa Pastoralreferenten) gekündigt werden kann, wenn diese eine zivilrechtliche Ehe eingehen, die kirchlicherseits nicht anerkannt werden kann. Sprich: eine gleichgeschlechtliche Verbindung oder eine Heirat nach einer Scheidung, die nicht durch ein kirchliches Annulierungsverfahren der ersten Ehe begleitet wurde.
Jens Ehebrecht-Zumsande. Foto: privat
Das kirchliche Arbeitsrecht ist in Bewegung
Bereits vor "Out in Church" war im kirchlichen Arbeitsrecht vieles in Bewegung geraten. Die Möglichkeiten zur Kündigung durch den Arbeitgeber waren schon 2015 stark eingeschränkt worden, eine weitere Überarbeitung der Grundordnung läuft derzeit ohnehin.
Auch auf dem Synodalen Weg, dem Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, ist die Streichung von Kündigungen aus Gründen der persönlichen Lebensführung Thema. Sprich: Die Dinge sind in Bewegung. "Out in Church" setzte sich damit auf eine Welle, die ohnehin in Bewegung war – verlieh dieser aber eine besondere Wucht, sodass ihre Gischt bis weit in die nicht-kirchliche Öffentlichkeit hinein zu spüren war. Und: Auch mancher Katholik sah sich gezwungen, umzudenken.
Das zeigte sich auch an dem Stapelfelder Abend. Dominik Blum, Dozent der KA, bekannte sich gleich zu Beginn zu seiner Scham. Scham darüber, einen Bekannten über Jahrzehnte nicht gefragt zu haben, wie es ihm als schwulem Katholiken in der Kirche eigentlich gehe. Gemeint war Jens Ehebrecht-Zumsande, Referatsleiter im Erzbistum Hamburg und einer der Protagonisten von "Out in Church".
Der "dauernde Kampf" ums Katholisch-Bleiben
Er erzählte von der Spannung, in der sich queere Katholiken vielfach wiederfänden, nämlich in der Not, sich doppelt rechtfertigen zu müssen: vor anderen queeren Menschen für ihre Kirchenzugehörigkeit und vor anderen Katholiken für ihr Queersein. Das ganze führe häufig zu einem "großen Drama" und habe zur Folge, dass sich queere Katholiken in einem "dauernden Kampf" befänden. Die "katholische Heimat" werde für und durch sie "immer schwer errungen" und in der Kirche zu bleiben, die die eigene Lebensform lehramtlich ablehne, erfordere "jeden Tag eine neue Entscheidung", wie Ehebrecht-Zumsande den rund 60 Zuhörern erklärte.
Der Theologe, der auch Supervisor ist, spitzte weiter zu: Er halte es für "eine Sünde der Kirche", dass Akteure ebendieser Kirche "täglich in Angst leben müssten". Damit dürfte die Sorge queerer Kirchenmitarbeiter gemeint sein, ihre Arbeit zu verlieren, sollten sie ihr Privatleben öffentlich machen.
Recht wirkt auch, wenn jemand Angst hat
Zur jüngeren Geschichte des kirchlichen Arbeitsrechts gehört zwar auch, dass in der Praxis in den vergangenen Jahren kaum mehr arbeitsrechtliche Verfahren wegen der persönlichen Lebensführung von Mitarbeitern angestrengt wurden. Im Offizialatsbezirk etwa gab es seit dem Amtsantritt von Weihbischof Wilfried Theising Anfang 2017 keinen einzigen Fall, wie das Offizialat kürzlich erklärt hatte (wir berichteten).
Im westfälischen Teil des Bistums Münster gab es laut Pressesprecher Stephan Kronenburg in den vergangenen 10 Jahren wohl zwei Fälle, eine Kündigung und einen Aufhebungsvertrag. Trotzdem, so erklärte der Pressesprecher von Bischof Dr. Felix Genn vor einigen Tagen auf Anfrage, sollte das kirchliche Arbeitsrecht zeitnah geändert werden, da es "sicher auch bei uns Angst und Unsicherheit gegeben" habe. Man kann das so verstehen: Auch eine nicht geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe oder permanente Angst vor einem Outing können eine Folge des bisherigen Arbeitsrechts sein.
Wie sehr queere Menschen mit sich selbst und ihrem Christsein ringen, kommt auch in den teils beeindruckenden Zeugnissen des Buches "Katholisch und Queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln" zum Ausdruck. Zwei der Herausgeber des im Dezember erschienenen Bandes, Hendrik Johannemann und Mara Klein, waren auch Teil des Stapelfelder Abends.
Bischof Heinrich Timmerevers will jedem Menschen Heimat bieten
Die Titel der Kapitel ihres Buches, die sie vorstellten, sprechen für sich: "Ich fiel aus meiner Kirche in ein bodenloses Loch" und "Ich betete, dass Gott mich heterosexuell macht". Was das Publikum hörte, waren Zeugnisse von Menschen mit einer tiefen christlichen Prägung, die mit sich selbst Jahr um Jahr ringen, wie sie mit Gott, der Kirche und sich selbst im Reinen sein können. Es ist schwer, da keine Beklommenheit zu fühlen.
Einer der Autoren des Bandes ist auch Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen und damit Vertreter des kirchlichen Lehramtes. Bevor er an die Elbe ging, war der gebürtige Nikolausdorfer Weihbischof im Bistum Münster und als Offizial Leiter der Kirche im Oldenburger Land. In seinem Beitrag "Wirkliche Begegnung ermöglicht neues Denken" reflektiert Timmerevers, wie ihn Begegnungen mit queeren Christen zur Überzeugung gebracht hätten, dass die Kirche ihre "bisherige Lehre kritisch hinterfragen und weiterentwickeln" müsse. Timmerevers' Pressestelle setzte dann auch noch vor der Ausstrahlung der TV-Doku "Wie Gott uns schuf" im Januar ein Statement über den Kurznachrichtendienst Twitter ab, in dem Timmerevers mit Dankbarkeit für alle Zeugnisse des Films zitiert wurde. Die Kirche, so der Bischof, müsse "jedem Menschen Heimat bieten". Dafür wolle er sich einsetzen.
Auf Rom warten? Besser nicht, meint Birgit Mock
Zum Abschluss des Stapelfelder Abends sprach Birgit Mock. Sie ist Vizepräsidentin des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK) und Co-Vorsitzende jenes Ausschusses beim Reformprozess Synodaler Weg, der sich mit der Erneuerung der kirchlichen Sexualmoral befasst.
Schon anderthalb Stunden waren vergangen, als Mock den Zuhörern vom Synodalen Weg berichtete. Sie machte deutlich, dass nicht nur das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland geändert werden müsse, sondern dass sie und das ZdK auch auf Veränderungen im Katechismus der Weltkirche drängten. Die Forderungen sollten "bis nach Rom getragen werden", so Mock. Im Katechismus heißt es bisher, homosexuelle Handlungen seien "in keinem Fall zu billigen". "Tiefsitzende homosexuelle Tendenzen" seien als Neigung "objektiv ungeordnet". Homosexuelle seien daher "zur Keuschheit gerufen".
Diese Aussagen müssten geändert werden, die deutsche Kirche solle aber nicht auf "das Lehramt" warten, forderte Mock. Vielmehr gehe es jetzt darum, dass die Praxis der Lehre vorangehe – das habe sie im Übrigen schon immer getan.
Birgit Mock. Foto: Hildegardisverein
Und: Mock wischte auch das Argument beiseite, die deutsche Kirche dürfe nicht zu progressiv werden, um die Einheit der Weltkirche nicht zu gefährden. Der reformorientierte Katholizismus in Deutschland wolle nicht die Einheit der Kirche in Frage stellen, sondern neu definieren, wie Einheit zu verstehen sei, sagte Mock und erinnerte an den mittelalterlichen Theologen und Kardinal Nikolaus von Kues, der stets für "Einheit in Vielfalt" eingetreten sei.
Wie stark die Impulse sind, die von der Stapelfelder Veranstaltung in die Kirche im Nordwesten getragen werden, bleibt einstweilen abzuwarten. Etliche der Zuhörer des digitalen Formats waren ausweislich ihrer Namen und Identifikation aus größerer Distanz zugeschaltet; darunter waren auch weitere Protagonisten des Synodalen Weges und von "Out in Church". Wie viele haupt- oder ehrenamtliche Katholiken aus dem Oldenburger Land dabei waren, war schwer einzuschätzen. Allzu viele bekannte Namen und Gesichter waren es nicht; Dominik Blum von der KAS erklärte auf Anfrage, er rechne mit etwa 30 Teilnehmern aus der Region.
Hängen blieb dessen ungeachtet am Ende des Abends auch dieser Satz, den der Theologe Ehebrecht-Zumsande zum Besten gab. Werde er von Christen mit der Aussage konfrontiert, dass Queersein nicht gottgefällig sei, drehe er gelegentlich den Spieß um, sagt er, und antworte jenen, die andere ausgrenzen wollten: "Was ist eigentlich dein Glaubensproblem?"
Fakten:
Jens Ehebrecht-Zumsande ist Theologe und Referatsleiter beim Erzbistum Hamburg. Er ist einer der Protagonisten der Aktion "Out in Church".
Hendrik Johannemann und Mara Klein sind Mitglieder des Synodalen Weges und haben im Dezember gemeinsam mit Mirjam Gräve das Buch "Katholisch und Queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln" veröffentlicht (Paderborn: Bonifatius 2021).
Birgit Mock ist seit 2021 Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Als "queer" bezeichnen sich unter anderem homo- und bisexuelle Menschen, aber auch Trans- und Intersexuelle.