Das vom Heimatverein Bakum bearbeitete Video über eine Hausschlachtung von 1979 wurde schon mehr als 57.000 Mal im Internet aufgerufen. Vegetarier zählen nicht unbedingt zur Zielgruppe.
Trafen sich jetzt beim Heimatverein Bakum zum ersten Mal persönlich (von links): Hubert Kröger mit Lederköcher und Schlachtermessern, das Ehepaar Oskar und Inge Scholz und der Vorsitzende und Sprecher Franz-Josef Göttke. Die Glocken, die er in den Händen hält, wurden früher zum Abschaben der Borsten benutzt. Foto: Ferber
Ohne an dieser Stelle zu viel zu spoilern: Wenn ein Schwein Hauptdarsteller in einem Film mit dem Titel "Hausschlachtungen in der ländlichen Bevölkerung" ist, ist für das Borstentier kein Happy End zu erwarten. Off-Sprecher Franz-Josef Göttke bringt sein Schicksal auf den Punkt: "Oskar Scholz nimmt jetzt die Innereien heraus. Mit einem speziellen Hackbeil spaltete Oskar das Rückgrat und teilte das Schwein in 2 Hälften."
Filmmaterial stammt von Walter Menzel
Zartbesaiteten und/oder Vegetariern könnten die gut 13 Minuten, die unter anderem Fleischermeister Oskar Scholz aus Hausstette 1979 mit Bolzenschussapparat und Flammgerät in Aktion zeigen, durchaus auf den Magen schlagen. Die Mehrheit der Zuschauer scheint aber auf den Geschmack gekommen zu sein. Denn seit der Heimatverein Bakum den von ihm bearbeiteten Film (die heftigsten Szenen des Originals wurden herausgenommen) Ende Juli bei YouTube hochgeladen hat, geht er viral steil, wie es Neudeutsch heißt. Stand Donnerstagmittag (10. Dezember) lag die Zahl der Aufrufe bei mehr als 57.000 (!). Der Google-Suchalgorithmus hat angebissen.
Festgehalten hat die Aufnahmen der authentischen Hausschlachtung, in der neben Oskar Scholz unter anderem auch seine Frau Inge zu sehen ist, der Bakumer Walter Menzel mit seiner Super-8-Kamera. Menzel habe, berichtet Hubert Kröger vom Heimatverein, in den 1950er, 60er, und 70er Jahren in der Gemeinde bei zahlreichen Events wie Volksfesten oder Veranstaltungen der evangelischen Kirche gefilmt. Einer seiner 3 Söhne, Dozent Dr. Wolfgang Menzel aus Offenburg, überreichte Kröger bei einem Besuch in diesem Jahr leihweise einen großen Wäschekorb mit allerlei Archivmaterial seines Vaters, um dieses digitalisieren zu lassen. Ein Clip unter den mehr als 20, eben jener über die Hausstetter Hausschlachtung, fiel Hubert Kröger besonders auf – zu einer Zeit, als die "Tönniessierung" der Fleischbranche mal wieder Negativ-Schlagzeilen machte und in der Kritik stand.
Der mit Sprechertext und fröhlicher Hintergrundmusik bearbeitete Tonfilm geht auf diese Zustände aber nicht näher ein. Er richtet den Blick in die Vergangenheit, als das Schlachten noch keine Akkordarbeit war, sondern vielmehr ein Familienereignis und der Selbstversorgung diente. Nicht jeder konnte es sich schließlich damals leisten, jede Woche zum Metzger zu gehen. Die Idee zum Film, berichtet Oskar Scholz, heute 80 Jahre jung, sei damals "aus Quatsch" entstanden. Vielfilmer Menzel hatte von den Hausschlachtungen, mit denen Scholz auch die Nachbarschaft mit Braten und anderem versorgte, gehört und ihn gefragt, ob er mit seiner Super 8 einmal dabei sein dürfte. Oskar Scholz war einverstanden.
"Nicht vorher noch hauen und prügeln, dass sie quieken. Je ruhiger, desto besser lief es ab."Oskar Scholz, Fleischermeister a. D.
Geschlachtet wurde, wegen der besseren Kühlmöglichkeiten, vorwiegend im Herbst und Winter – wobei nicht nur Profis Hand ans Hackebeil legten. Auch Maurer versuchten sich zum Beispiel am Schlachten. So oder so: Fürs Tier ging die Sache nie gut aus. "Die Szene, wo das Schwein getötet wird, habe ich als Kind auch oft erlebt. Dass es selbstverständlich ist, dass zum Schlachten auch das Töten des Schweines dazugehört", erinnert sich Hubert Kröger an eine Zeit, in der ein frisches Kotelett aus der Pfanne ein Festessen war. Beim Schlachten, erklärt Oskar Scholz, musste alles "sachlich" zugehen. "Nicht vorher noch hauen und prügeln, dass sie quieken. Je ruhiger, desto besser lief es ab."
Oskar Scholz setzt das Hackebeil an. Festgehalten hat diese Szene Walter Menzel mit seiner Super-8-Kamera. Foto: Screenshot
Doch ohne Blutvergießen lief der Messerstich in die Hauptschlagader nicht ab – und auch die Sommer- oder Winterborsten mussten runter. Je nachdem, sagt Oskar Scholz, konnte in einer bis anderthalb Stunden die ganze Aktion vorbei sein. Zwischendurch war sowohl Zeit für eine Zigarette ("ohne Dampf ging's nicht") als auch für einen Schnaps. Getreu dem Motto: "Ist das Schwein hakenrein, muss erst mal getrunken sein."
Nach Blutsuppe die Finger geleckt
Verarbeitet wurde vom Schwein alles – zu Schinken, Kotelett, Würsten, Eisbein, Wellfleisch. Für den spezielleren Geschmack fanden auch Ringelschwanz und Pfötchen Verwendung. "Da wurde nichts weggekippt." "Das kam alles in die Sülze", ergänzt Inge Scholz (72). Doch es gab auch Tücken: "Die Grütze durfte kein Gummi werden. Wenn zu viel Schwarten oder was drin sind, dann kannst du die Grütze auf die Erde schmeißen und sie springt hoch", beschreibt Oskar Scholz. Er habe Hausfrauen dabei gehabt, "die kochten eine Blutsuppe, da hast du dir alle 10 Finger geleckt". Nur Salz und Pfeffer am Braten, vielleicht eine Mohrrübe, Sellerie oder ein Lorbeerblatt dran, erinnert sich Scholz an eine Zubereitungszeit ohne Geschmacksverstärker.
Apropos: Wehmut kommt beim Hausstetter, der zuletzt über 20 Jahre bei Gausepohl in Bakum, dem laut OV Ende der 1960er Jahre modernsten Schlachthof Europas, beschäftigt war, auch aus anderem Grund auf, wenn er den Film anschaut. "Vor allen Dingen, wenn du dich da körperlich siehst und heute. Heute kommst du gar nicht mehr runter zum Kratzen, damals standest du locker dabei. Da war keine Hecke zu hoch."
Großes Feedback ist Motivation für den Heimatverein
Beim Heimatverein Bakum indes ist man von der großen Resonanz auf den Film überrascht. Die normale "Einschaltquote" bei den übrigen Filmen bewege sich eher im 100er- oder 1000er-Zugriffbereich, so Hubert Kröger. "Anhand der Kommentare kann man sehen, dass viele User die Zeit miterlebt haben mit Hausschlachtungen und bestätigen, jawohl, genauso war das." Gleichzeitig sei das große Feedback auch Motivation für die ehrenamtliche Arbeit im Verein. "Wenn keinerlei Interesse vorhanden wäre, würde man es wahrscheinlich irgendwann einstellen", sagt Kröger. Seine Enkeltöchter in Hamburg, berichtet Oskar Scholz stolz, seien begeistert von dem Film gewesen. "Die hatten das vom Opa noch nie gesehen."