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Einer Enttäuschung geht Täuschung voraus

Gästebuch: Einst waren die Vertreter der Kirche wie Halbgötter und immer gerne gesehen. Doch die Ehrfurcht vergangener Zeiten musste der Enttäuschung über die lange vertuschten Taten weichen.

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Der Fernseher stand in der besten Stube. Eine kleine Kiste gegenüber den Maßen von heute mit noch kleinerem Bildschirm und einer riesigen Röhre an der Hinterwand. Winters wurde hier nur an Sonntagen geheizt oder wenn der Pastor zu Besuch kam. Mit Pastor war meistens der Kaplan gemeint. Denn der Pastor selbst war weniger gut zu Fuß und ging lieber durch den Pfarrgarten oder auf den Versehgang zur letzten Ölung.

Die Kapläne wechselten in den Jahren. Aber sie waren wie Halbgötter und immer wieder gern gesehen. Sie waren unterschiedlich. Der eine jovial und lustig, der andere oberlehrerhaft, der dritte fromm. So eine Frömmigkeit, die durch einen hindurch scheint. Unwirklich und unnahbar.

Ein Bild des Erzbischofs stand auf dem Fernseher

Der Vorteil des Fernsehers mit der breiten Röhre war, dass man dort etwas draufstellen konnte, gewissermaßen wie auf einen Kamin. Hier stand auf der Röhre ein eingerahmtes Foto. Es zeigte einen gütigen, weisen, verständnisvollen Herrn. Selbstlos und ohne Selbstüberhöhung. So einer, den man sich als Vater oder Großvater wünschte. Ein Leuchtturm, eine Projektionsfläche und Hilfe in mancher Not. Der Mann auf dem Foto auf der Röhre war der Bischof von Münster, Erzbischof gar und Kardinal: Joseph Kardinal Höffner und später sogar Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. "Use" Bischof. Denn wir als Südoldenburger waren Teil der Familie des Bistums Münster und treu. Treuer ging's gar nicht.

Als Kind ging man stets mit Ehrfurcht vor diesem Gottesmann auf der Fernsehröhre vorbei. Er stammte ja auch, wie die Mutter wusste, aus einer kinderreichen Familie, aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet und gütig und milde und schlau. Sogar 4 Doktortitel hat er sich erworben. 4 Stück. Und den Professor noch dazu. Bis zu seinem Tod war er der einzige Deutsche, der 4 Doktortitel besaß, und zwar echte selbst erworbene und nicht etwa ehrenhalber oder betrogen wie andere. Das ist jetzt mehr als eine Generation her als er 1987 starb.

Kapläne sind offensichtlich auch ausgestorben. Bei manchen durfte man als Junge sogar auf dem Schoß sitzen, wenn er zu Besuch kam, in der besten, winters sogar geheizten besten Stube und er Mutters Kaffee schlürfte. Währenddessen blickte die gütige Eminenz (oder Exzellenz?) von der Röhre auf den Nachwuchs herab und erteilte gewissermaßen sprachlos den Segen. Die Vergangenheit war aber nicht heil. Sie war nicht einmal vergangen. Denn es bricht ein Missbrauchsskandal nach dem anderen über unsere (unsere?) Kirche herein.

"Wie viel Leid diesen Jungs angetan wurde, ist für uns Nichtbetroffene gar nicht zu ermessen."Otto Höffmann

Sogar im beschaulichen und damals doch so anständigen Oldenburger Münsterland machten sich Priester strafbar und verfügten über die ihnen anvertrauten Kinder. Der "Grabbelpastor" wird erwähnt. Wie viel Leid diesen Jungs angetan wurde, ist für uns Nichtbetroffene gar nicht zu ermessen. Welches Vertrauen zerstört wurde, was da zusammenbrach an Illusion und Glaubensgrundsätzen.

Jetzt liegt der Untersuchungsbericht für das Bistum Münster über den sexuellen Missbrauch vor. Über den gütigen Herrn mit den 4 Doktoren auf der Fernsehröhre sagen die Wissenschaftler, er sei als Kirchenmann auch ein "Täter". Es liege bei ihm ein "massives Leitungsversagen vor". Dieser Mann, diese personifizierte Mildtätigkeit und Güte habe "vertuscht, geschwiegen und lediglich vordergründig eingegriffen, wenn es darum ging, einen öffentlichen Skandal zu vermeiden".

Joseph Kardinal Höffner sei seinem "Wächteramt im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch durch Kleriker der Diözese Münster nicht gerecht geworden". Ein mittelbarer Täter also, ein Mittäter mithin oder Gehilfe, wie die Juristen sagen. Einer Enttäuschung geht Täuschung voraus. Es war eine Illusion, an diese Täuschung zu glauben. Nunmehr sind wir enttäuscht. Es war ein Schein und wir sind drauf reingefallen. Das ist bitter.


Zur Person:

  • Otto Höffmann ist Rechtsanwalt in Cloppenburg.
  • Den Autor erreichen Sie unter der E-Mail-Adresse redaktion@om-medien.de.

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