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Ein Schwein ruft mich an

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Der Telefonterror scheint immer weiter zuzunehmen. Bei fehlenden juristischen Maßnahmen hilft manchmal nur noch die Trillerpfeife weiter.

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Die freundliche Support-Mitarbeiterin, der ungeahnte Los-Gewinn, der nette Polizist, der sich um die Verwahrung von Vermögenswerten kümmern möchte: Telefonterror ist eine Plage der Neuzeit, die nicht in den Griff zu kriegen ist. Doch das war nicht immer so: Als in grauer Vorzeit die Telefone noch mit Wählscheibe im Flur standen, gab es vier anonyme Belästigeranrufe im Jahr. Forschungsinstitute nervten zwar auch schon in den 90ern, Spaßvögel sowieso, Staubsaugervertreter auch. Aber sie waren beherrschbar und konnten mit Trillerpfeifen direkt in die Sprechmuschel ein für allemal verscheucht werden.

Heute verraten die Telefone schon im Display, welche Nummer gerade anruft. Das aber scheint den Ehrgeiz der Anrufer eher zu befeuern. Und immer, wenn mir die Vorwahl sonderbar international erscheint oder aus Udenheim in der Pfalz stammt, ist ein Drücker dran, der schnell und schamlos ein langes Verkaufsgespräch abfeuert, Umfragen im Auftrage der Regierung erhebt oder auf Englisch Gedichte rezitiert. Von fiesen Enkeltricks blieb ich bisher verschont. Dafür nämlich werden die Opfer gezielter ausgewählt, wie die Polizei unlängst verlauten ließ. Demnach selektiert die Mafia ebenso dreist wie logisch möglichst kurze Nummern mit möglichst alten Vornamen, etwa „Alfons“, Steinfeld, Fernruf 337. Ich hingegen bin fünfstellig und kriege nur Langweiler ans Fon, die aber dreimal pro Woche.

"Ich legte auf, er rief unter anderer Nummer zurück, wir zankten uns laut, ich vergoss vor Zorn eine Tasse Tee."Christian Bitter

Vorgestern hatte ich einen Drücker am Rohr („ich bin der Herr Albers“), der plapperte von der neuen PV-8-Solaranlage und sah die Welt untergehen, wenn ich nicht auf der Stelle sein fantastisches Angebot zum Test akzeptieren würde. Ich verschmähte, er fand das „überhaupt nicht schön“, ich möge keine schlechte Laune verbreiten, er müsse schließlich auch nur seinen Lebensunterhalt verdienen: „In einer Woche werden Sie zum Stromproduzenten“, schrie er. Ich legte auf, er rief unter anderer Nummer zurück, wir zankten uns laut, ich vergoss vor Zorn eine Tasse Tee.

Zu fragen wäre, warum das geltende Recht diesen Unsinn nicht in den Griff kriegt. Warum lassen sich blöde Telefonanrufe von offiziellen Rufnummern nicht zurückverfolgen, um die Zeitdiebe am Schlafittchen zu packen? Wo ist die künstliche Intelligenz, die solche Aufgaben einem tumben Vollstreckercomputer überlassen könnte? Wo sind die Gesetze, die solche Possen ein für allemal verbieten? Wer zahlt all die verplemperten Stunden meiner kostbaren Lebensarbeitszeit?

Eine Lösung ist nicht in Sicht, zumal die Täter juristisch offenbar keine Missetat begehen. Da bleibt mir dann nur noch die gute alte Trillerpfeife oder der konsequente Verzicht aufs Festnetz. Und ein ziemlich belangloses Dance-Pop-Stück der irischen Kapelle D:Ream, das in diesen Tagen genau 30 Jahre alt wird, wenig taugt, aber den so ziemlich schönsten Refrain aller Zeiten spielt: „Things can only get better“.


Zur Person:

  • Christian Bitter ist Chef der Werbeagentur Bitter & Co. in Calveslage.
    Er studierte Germanistik und war Leiter der Werbe-Redaktion der OV.

    Den Autor erreichen Sie per E-Mail an: redaktion@om-medien.de.

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