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Eigentlich bin ich ganz anders

Kolumne: Auf ein Wort – "Wie bin ich?" Das bin ich unlängst gefragt worden. Meine Erkenntnis: Absolute Aussagen sind relativ.

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Vor einigen Wochen machte ich im Rahmen einer Fortbildung einen Persönlichkeitstest – am Computer. Nach den üblichen Fragen für die Statistik ging es ans Eingemachte. Von „trifft genau zu“ bis zu „trifft gar nicht zu“ sollte ich mich in einer 7-stufigen Skala entscheiden. Eine Frage nach der anderen klickte ich durch. Seid spontan, denkt nicht zu lange nach, war uns von unserem Kursleiter als Tipp mitgegeben worden. Na, man kennt sich ja – einige Jahre Berufs- und Lebenserfahrung liegen immerhin schon hinter mir. Also: Kommt es vor, dass Sie sich bei Ihrer Arbeit verzetteln? – Nein, ganz bestimmt nicht! – Ich kreuze die „0“ an, da bin ich mir sicher.

Am Nachmittag mache ich mir die ersten Gedanken zum Gottesdienst für den nächsten Sonntag. Bei der Liedauswahl komme ich nicht so recht auf einen grünen Zweig. Modern und leicht zu singen sollen die Lieder sein. Trotzdem inhaltlich tiefgehend. Ok, ich nehme also zwei Lieder, die nicht im Gesangbuch stehen und drucke ein extra Liedblatt. Doch wo sind nur die Lieddateien geblieben? Ich klicke und klicke und klicke mich durch meine alten und neuen Verzeichnisse. Gar nicht so gut strukturiert, wie ich es im Test angegeben hatte… – ich verzettele mich total! Vielleicht war es auch der Müdigkeit geschuldet, jedenfalls lerne ich: Absolute Aussagen darüber, wie ich bin, stehen auf wackeligen Füßen. Auf jeden Fall schon einmal kein Grund, mich anderen in irgendeiner Art überlegen zu fühlen.

"Dass ich 'eigentlich ganz anders' bin oder ganz anders sein kann, gilt ja auch für das, was ich nicht kann. Ich kann dazulernen, mich verändern, mich auf neues Terrain vorwagen. Es wäre schlimm, wenn das nicht möglich wäre."Martina Wittkowski

Eigentlich gut so, oder? Dass ich „eigentlich ganz anders“ bin oder ganz anders sein kann, gilt ja auch für das, was ich nicht kann. Ich kann dazulernen, mich verändern, mich auf neues Terrain vorwagen. Es wäre schlimm, wenn das nicht möglich wäre. Ich muss an die Kurzgeschichte von Bertold Brecht denken: „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.‘ ‚Oh!‘ sagte Herr K. und erbleichte.“

Klar ist es schön, wenn das herzliche laute Lachen einer Freundin aus Schulzeiten immer noch zu ihren Erkennungsmerkmalen zählt. Doch: Wer hätte in meiner Schulzeit gedacht, dass ich heute als einigermaßen sportlich gelte? Wer hätte mir zugetraut, dass ich ohne zitternde Knie vor vielen Menschen spreche? Gut, dass auch Menschen meiner Altersklasse noch nicht festgelegt sind. Sich verändern können und sich neu ausprobieren. Dass sie vielleicht ihre berufliche Erfüllung kurz vor dem Ruhestand finden.

Diese Möglichkeit wurzelt für mich in dem, was Paulus schreibt: „Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert“ (2. Korinther 4,16). Diese Chance wünsche ich mir für mich selbst, für die, die mir nahe sind, und für so manchen anderen Zeitgenossen. Gerade auch für die, die großen Einfluss haben und deren Entscheidungen das Leben vieler anderer betreffen.


Zur Person:

  • Martina Wittkowski ist Kreispfarrerin im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Oldenburger Münsterland.
  • Sie erreichen die Autorin unter: redaktion@om-medien.de.

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