Die aktuelle Krise der katholischen Kirche und insbesondere die Probleme des dramatischen Rückgangs bei den Priesterzahlen und Gläubigen sieht Dechant Bertholt Kerkhoff auch „als Chance zu einem neuen Aufbruch“. „Wenn wir als gläubige Christen an Jesu Zusage 'Ich bin bei Euch alle Tage' glauben, dann werden wir Wege finden, auch 2040 noch Kirche zu sein“, erklärte der Pfarrer der Löninger St.-Vitus-Gemeinde im Gespräch mit OM-Medien.
Themen waren die aktuellen Krisen und die Auswirkungen der Vorschläge des Bistums zu neuen Strukturen, den „Pastoralen Räumen“ als Konsequenz auf den Schwund in allen wichtigen Bereichen in den kommenden Jahren. So rechnet das Bischöflich Münstersche Offizialat noch mit 210.000 Kirchenmitgliedern in 2040 – gegenüber fast 270.000 noch im Jahr 2000. Die erschreckendste Zahl ist jedoch, dass die Verantwortlichen damit rechnen, dass es in knapp 20 Jahren nur noch zehn aktive Priester im Offizialatsbezirk zwischen Damme und der Küste geben wird.
Hinzu komme, dass es auch einen signifikanten Rückgang der im Bistum tätigen weiblichen und männlichen Pastoralreferenten und -assistenten geben werde, betonte Kerkhoff. Er erwartet auch keine Trendwende: Derartige Berufe und Berufungen fielen nicht vom Himmel. Sie benötigten einen guten Nährboden in den Familien, in denen sie mit dem Glauben in einer Gemeinde aufwachsen.
Das Einzige, was zunimmt, sind momentan die Austritte
Das Einzige, was momentan zunehme, seien die Austritte, diese Entwicklung sei noch ganz am Anfang, so Kerkhoff. Er fürchte ein schleichendes Wegbleiben aus Frust und in letzter Konsequenz den Austritt. Bei den Prognosen seien die jüngsten verheerenden Entwicklungen der Missbrauchsdebatte und die Schlagzeilen über Benedikt XVI. noch nicht mit eingerechnet. „Wir alle, denen Kirche etwas bedeutet, müssen uns dieser Situation und diesen berechtigten Debatten über grundlegende Reformen der katholischen Kirche stellen.“ Oberstes Gebot müsse dabei sein, die Menschen mitzunehmen. Dafür müssten die Beteiligten zunächst einmal alle eigenen Festplatten löschen und alles auf Null stellen. „Wir müssen einen Neuanfang starten.“
Dazu gehöre auch die Einsicht in die einschneidenden Folgen für die nur noch wenigen aktiven Priester. Er könne an einem Sonntag keine zehn Gottesdienste feiern, daher müssten neue Formen von ehrenamtlicher Arbeit entstehen und wachsen, jeder Laie könne Wortgottesdienste feiern, Pastoralreferenten dürften Beerdigungen vornehmen und Diakone taufen. Es gehe nicht darum, jetzt für die schwindende Priesterzahl Lückenbüßer zu finden, sondern um einen positiven Aufbruch mit und für alle Gläubigen, die in ihrer Kirche sowohl mehr Verantwortung als auch Arbeit übernehmen. Wenn viele nach dem Motto handeln 'Ich bin mitverantwortlich, dass wir Gottesdienst feiern', dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung“, so Kerkhoff.
Debatte über Frauenpriestertum ist notwendig
Das müsse aber einhergehen mit grundlegenden Reformen aller bisherigen Dogmen der Kirche. „Wir müssen wirklich intensiv andere Lebensformen als den zölibatären Priester prüfen“. Er sei sehr dafür, zumindest das Diakonat für Frauen einzuführen. Auch der Debatte über das Frauenpriestertum müsse sich die Kirche stellen. Zum Thema Sexualmoral hat Kerkhoff eine klare Position: Die Kirche täte gut daran, sich hier sehr zurückzuhalten.
„Ein moralischer Kompass soll doch eine Lebenshilfe sein und kein Korsett, in dem das Leben unerträglich eingeschnürt wird.“ Zudem müsse die Kirche und auch jede Gemeinde vor Ort dringend ihren Umgang mit Menschen, die homosexuell oder lesbisch seien, überdenken. So habe der Pfarrei-Rat der Vitus-Gemeinde auf einer Klausurtagung einen eigenen Ausschuss für „Willkommenskultur“ gegründet. „Wir wollen deutlich machen, dass nicht nur wiederverheiratete Geschiedene, sondern auch schwule oder lesbische Gläubige bei uns herzlich willkommen sind.“ Wenn es nicht um reine Symbolpolitik als Ausdruck des Protestes gehe, dann sei für ihn "sonnenklar", dass er auch gleichgeschlechtliche Paare segne, wenn sie den Segen haben möchten.