Der erste Satz muss sitzen! Das wurde uns jungen Journalisten damals eingebläut, wenn es darum ging, etwas anderes als eine klassische Nachricht zu verfassen. Da waren die Kriterien klar, eine saubere Meldung handelte die Kategorien Wer?, Was?, Wo?, Wann?, Wie? und Warum? ab. Das ist journalistisches Handwerk und unter normalen Umständen leicht zu erlernen. Aber der erste Satz eines Romans, einer Reportage, eines Kommentars, einer Glosse, einer Kolumne – der muss passen, um den Leser an sich zu binden. Muss ja nicht so gnadenlos genial klingen wie bei Günter Grass' Klassiker „Der Butt“, der mit „Ilsebill salzte nach“ startet.
Also: Mein erster Satz für den heutigen Aufsatz ist dieser: Ich bin ein „Yesterday Man“. Es wird sicherlich einige geübte Leser dieser Kolumne geben, die sagen: „Da hat er Recht, der Schreiber. Er ist ein Mann von gestern.“ Nun gut, damit lässt sich leben. Und ich schaue auch gern zurück, denn wer das Gestern kennt, begreift das Heute. Aber ich will nicht ins Philosophische abdriften – der „Yesterday Man“ hat einen konkreten Hintergrund.
Vor einigen Tagen hörte ich den „Yesterday Man“ erstmals seit langer Zeit wieder im Radio. Ein ins Ohr gehender Song des Briten Chris Andrews, der heute, 80 Jahre alt, im westfälischen Selm-Ternsche lebt. Und überdies ein Welthit, der 1966 in vielen Ländern die Hitparaden anführte, darunter auch in Deutschland, wo er im Januar und Februar 6 Wochen die Nummer eins war und 1,4 Millionen Mal verkauft wurde. In der jetzigen Zeit eine unvorstellbare Größenordnung. Was mich mit dem „Yesterday Man“ in besonderem Maße verbindet, wollen Sie wissen?
"An das kleine schwarze Rund in Vinyl erinnert man sich wie an sein erstes Buch, sein erstes Fahrrad, seinen ersten Lederball oder seinen ersten Kuss."Alfons Batke
Es war meine erste Schallplatte. An das kleine schwarze Rund in Vinyl erinnert man sich wie an sein erstes Buch, sein erstes Fahrrad, seinen ersten Lederball oder seinen ersten Kuss. Nun gut, der „Yesterday Man“ war wirklich von gestern, ich kaufte die Scheibe gebraucht. Unser Fachhändler in Lohne hatte eine Grabbelkiste, in der es Platten für eine Mark gab. Diese hatten vorher in Musikboxen ihren Dienst verrichtet; mit ihnen war schon ordentlich Geld verdient worden.
Gekauft habe ich meinen Erstling im Jahr 1968, also 2 Jahre nach dem Höhenflug des Songs. Aktuelle Nummer-eins-Kracher von '68 wie „Massachusetts“ von den Bee Gees, „Heidschi Bumbeidschi“ vom holländischen Wunderknaben Heintje oder „Jumpin‘ Jack Flash“ von den Stones waren für mich als 12-jähriger Geringverdiener nicht drin, eine neue Single kostete damals 5 Mark. Immerhin ergänzte ich die erste Sammlung um weitere Eine-Mark-Schnäppchen wie Drafi Deutschers „Marmor, Stein und Eisen bricht", Freddy Quinns „Hundert Mann und ein Befehl" und David Garricks „Dear Mrs. Applebee“.
Dass der „Yesterday Man“ ein launiger Song über eine verflossene Liebschaft war, interessierte mich damals nicht weiter. Hauptsache, ich hatte eine eigene Schallplatte. Und auch ein eigenes Abspielgerät, ein Geschenk von Onkel August. Nannte sich Phono-Automat, war ein Philips Mignon 195 und gebraucht. Heute steht so ein Ding im Museum. Damals hat es mich glücklich gemacht und gelehrt, dass man auch mit wenig zufrieden sein kann. Immer, wenn ich das Lied höre, werde ich verdammt sentimental. Und ja, es stimmt, ich bin gern ein „Yesterday Man“.
Zur Person:
- Alfons Batke blickt auf eine über 40-jährige journalistische Laufbahn zurück.
- Der 67-Jährige lebt als freier Ruheständler in Lohne.
- Den Autor erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.