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Die Beschwichtigungsformel unseres Alltags

Kolumne: Batke dichtet – "Alles gut": Der inflationäre Gebrauch dieser Redensart ist häufig nicht mehr als ein gigantisches Ablenkungsmanöver.

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Möglicherweise werden Sie es in den vergangenen Tagen öfter gehört haben, wenn Ihre Gesprächspartner Auskunft über ihren Urlaub gaben. „Um ehrlich zu sein, die vier Sterne hat das Hotel kaum verdient, aber die Getränke wurden zügig serviert. War insgesamt bisschen heiß auf der Insel, aber wir haben ja Sommer. Und der Lärm der Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück – okay, das Ding muss ja auch fertig werden. Alles gut.“

Wer gibt schon gern zu, dass er eine eher bescheidene Urlaubsreise absolviert hat? Das touristische Erlebnis besitzt eine enorme gesellschaftliche Relevanz und hat gefälligst schön gewesen zu sein. Alles gut! Sie sehen, diese Floskel hat es mir angetan. Und ich muss eingestehen, dass sich das schnell dahingesagte „Alles gut“ auch in meinen Sprachgebrauch eingenistet hat.

Wie oft ertappe ich mich dabei, dass ich Dinge, mit denen ich eigentlich unzufrieden bin, mit einem finalen „... aber alles gut“ kommentiere. Es ist die Kommunikationsform unserer Zeit. Beim Gang durch die Stadt dröhnt dir von links und rechts ein markiges „Alles gut?“ in die Ohren, und dir fällt nichts Besseres als die Antwort „Alles gut“ ein. Schön, dass wir darüber geredet haben.

„Bei Licht gesehen ist ,Alles gut' nicht mehr als eine Beschwichtigungsformel und oft mehr Lüge als Wahrheit.“

Oder nehmen wir diesen Party-Dialog: „Ist das der herrliche vegane Kichererbsensalat, von dem alle so schwärmen?“ „Nee, das ist der Wurstsalat nach einem Rezept meiner Uroma.“ „Ach so … aber alles gut.“ Die Phrase bestimmt unseren Alltag. Mit der Gesundheit ist „alles gut“, auch wenn man sich von einem Arzttermin zum nächsten schleppt.

Auf der Arbeit garantiert, auch wenn der Vorgesetzte das reinste Ekelpaket ist. In der Familie erst recht, auch wenn man wegen Erbstreitigkeiten mit den Geschwistern vor Gericht steht. Und in der regionalen Mehrheitspartei sowieso, auch wenn sie von einem Beben eines vorher nie gekannten Ausmaßes erschüttert wird. Die Welt um uns herum gerät ins Wanken – aber alles gut.

Bei Licht gesehen ist „Alles gut“ nicht mehr als eine Beschwichtigungsformel und oft mehr Lüge als Wahrheit. Aber wer will auch schon gern zugeben, dass er die Kontrolle verloren hat, dass er im Optimierungswahn nicht Schritt halten kann oder dass er bestimmten Herausforderungen kaum gewachsen ist?

„Alles gut“ – der inflationäre Gebrauch dieser Redensart ist häufig nicht mehr als ein gigantisches Ablenkungsmanöver. All diese Gedanken umkreisen mich kurz vor unserer Sommerreise. Wir wissen nicht, wie sie verlaufen wird – was kann nicht alles passieren mit An- und Abreise, Unterbringung, Verpflegung, Wetter oder dem allgemeinen Befinden? Wahrscheinlich werden wir nach unserer Rückkehr auf die Frage, wie es denn gewesen sei, mit einem einfachen „Alles gut“ antworten. Aber nichts für ungut: Klingt immerhin besser als „Alles Paletti“ oder „Alles Roger“.


Zur Person:

  • Alfons Batke blickt auf eine über 40-jährige journalistische Laufbahn zurück.
  • Der 67-Jährige lebt als freier Ruheständler in Lohne.
  • Den Autor erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.

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