Das Nachrichtenportal vonMünsterländische Tageszeitung MT undOldenburgische Volkszeitung OV

Der Gorilla im Kampfanzug und das 9-Euro-Ticket

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Gemäß dem Motto "Segg wat wohr is, drink wat kloar ist" sollten Bürokratendeutsch, umständliche Umschreibungen und neue Worterfindungen zurückgeschraubt werden.

Artikel teilen:

Vor geraumer Zeit erreichte mich ein behördliches Schreiben aus einer mir unbekannten Kommune in Deutschland. In verschnörkeltem Bürokratendeutsch teilte man mir auf 2 Textseiten mit, ich hätte in einem bestimmten Autobahnabschnitt mit dem Auto löblicherweise die dort vorgeschriebene Geschwindigkeit nicht nur erreicht, sondern sogar überschritten. Überweisungsformular anbei. Außerdem noch das völlig verschwommene Schwarz-Weiß-Foto eines Gorillas im Kampfanzug.

Ich erinnerte mich dunkel an einen vor Wochen absolvierten Kurzausflug in die wunderbare Landschaft des Hattenbacher Dreiecks. Da wir aber als brave Staatsbürger die geltenden Verkehrsregeln verinnerlicht haben – zuzüglich der üblichen 10 Prozent –, schien mir das Schreiben recht verwunderlich. Nach Sezierung des beiliegenden Fotos durch die beste Ehefrau von allen, konnte sie eine gewisse – ganz entfernte – Ähnlichkeit nicht ausschließen. Folgsam malte ich die Unterschrift aufs Formular.

Nun geht es hier nicht um banale Tempoanalysen oder die Frage, ob man Gorillas das Autofahren erlauben sollte, sondern um das grundsätzliche Thema der guten und verständlichen Kommunikation in diesem Lande. Als Journalist habe ich mich über Jahrzehnte immer wieder damit auseinandersetzen müssen. Und bin gescheitert. Es ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel. "Segg wat wohr is, drink wat kloar is!“ – so heißt eine uralte plattdeutsche Weisheit. Und so nüchtern sollte man sich doch auch im Leben begegnen.

"Wir schwurbeln uns gegenseitig den Ranzen voll mit immer neuen Worterfindungen und Umschreibungen.“Andreas Kathe

Übertragen auf das obige Bürokraten-Formular, müsste das wie folgt lauten: "Lieber Mann, Sie waren XY Kilometer zu schnell. Überweisen Sie 30 Euro. Sollte tatsächlich ein Gorilla hinter dem Lenkrad gesessen haben, senden Sie uns den Nachweis, dass er einen Führerschein hat. Beste Grüße. Heinz Meyer, Blitzerkönig .“ So was versteht doch jeder.

Aber nein, es wird immer schlimmer. Wir schwurbeln uns gegenseitig den Ranzen voll mit immer neuen Worterfindungen und Umschreibungen für zumeist ganz banale Vorgänge. Stampfen "Projekte“ und "Maßnahmen“ aus dem Boden, die hochtrabende Namen tragen, aber oft nur heiße Luft erzeugen. Sitzen als "Manager“ hinter Schreibtischen, auf denen sich dann aber doch nur – wie früher – die Eingangspost stapelt, die sortiert werden muss.

Sie möchten noch mehr? Gut. Wir verkleiden die Landschaft mit Riesenplakaten, die vor irgendwelchen Neubauten blitzerbunt von Geldmitteln aus Europa-, Bundes- oder Landestöpfen künden. Ich würde gerne ein kleines, nüchternes Schildchen daneben stellen: "Ich war auch dabei: Oma Müller, 30 Euro, Mehrwertsteuererlös aus den Einkäufen im Juni. Tischler Meyer, 20.000 Euro Gewerbesteuer. Heinz-Dieter, 70 Euro, Spritsteuer – Tendenz steigend …“

"Segg wat wohr is.“ Irgendjemand muss das kürzlich in Berlin gehört haben. Er erfand das "9-Euro-Ticket“. Genial. Das versteht jeder. Ich wette mit Ihnen, es ist zu einfach für unsere aufgeblasene Gesellschaft, die nach höherer Glückseligkeit strebt. 9 Euro – wer hält dagegen?

Zur Person

  • Der Journalist Andreas Kathe lebt in Dinklage. Lange Jahre war er Redakteur und Redaktionsleiter der OV.
  • Den Autor erreichen Sie unter: redaktion@om-medien.de.

So verpassen sie nichts mehr. Mit unseren kostenlosen Newslettern informieren wir Sie über das Wichtigste aus dem Oldenburger Münsterland. Jetzt einfach für einen Newsletter anmelden!

Das könnte Sie auch interessieren

Hier klicken und om-online zum Start-Bildschirm hinzufügen

Der Gorilla im Kampfanzug und das 9-Euro-Ticket - OM online