Das Grab der Eltern – Ort der Erinnerung
Kolumne: Auf ein Wort – Natürlich kann man sich an jedem Ort der Welt an die Eltern erinnern. Das Grab der Eltern sollte aber mindestens so lange existieren, wie ihre Kinder leben.
Karl Gierse | 25.04.2023
Kolumne: Auf ein Wort – Natürlich kann man sich an jedem Ort der Welt an die Eltern erinnern. Das Grab der Eltern sollte aber mindestens so lange existieren, wie ihre Kinder leben.
Karl Gierse | 25.04.2023
Eigentlich ein Thema für den November. Aber manchmal holen einen Themen ein, wenn man so gar nicht mit ihnen rechnet. Am letzten Wochenende war ich zu einer Familienfeier im heimatlichen Ruhrgebiet. Bei solchen Gelegenheiten gehört ein Besuch am Grab der Eltern in der Regel dazu. Der letzte Besuch lag schon Monate zurück, da an Weihnachten die Zeit einfach nicht gereicht hatte. Die wohlgepflegten Friedhöfe des Oldenburger Münsterlandes vor Augen, war ich beim Anblick des heimatlichen Gräberfeldes doch einigermaßen entsetzt. Es war nie ein „schöner“ Friedhof gewesen. Ein abschüssiges Gelände Richtung Eisenbahnlinie, von dem Tante Änne schon immer sagte, dass es sich besser als Rodelwiese geeignet hätte. Mein Eindruck war, dass der Friedhof aktuell mehr einer Viehweide denn einer halbwegs gepflegten Wiese glich. Weit verstreut sah man sowohl liebevoll gepflegte Gräber mit frischen Blumen als auch völlig verwaiste Grabstellen, bei denen nur noch die Randsteine den Ort der letzten Ruhe markierten. Schon ein wenig deprimiert begab ich mich zum Grab von Mutter und Vater, das dort liegt, wo der Abhang in die Ebene übergeht. Vor etlichen Jahren hatten wir auf Wunsch der Friedhofsverwaltung die Grabstätte in ein Rasengrab umwandeln müssen, das lediglich mit einer Grabplatte versehen werden durfte. Im ersten Moment nahm ich an, dass ich mich in der Reihe vertan hätte. Aber auch eine Reihe davor und eine Reihe danach fand ich die Marmorplatte mit dem Familiennamen nicht. Ich griff zum Mobilphone und rief meinen Bruder an. „Ja, ich habe sie auch schon vermisst“, eröffnete der mir, „konnte wohl jemand gebrauchen!“ Und dann schob er den Satz nach, der mir doch etwas die Fassung raubte: „Die Ruhezeit für die Grabstelle der Eltern läuft eh im Herbst ab, dann brauchen wir keine Grabplatte mehr!“ Am Abend hatten wir eine längere Diskussion, in der es ziemlich zur Sache ging. Ich habe vehement die Meinung vertreten, dass das Grab der Eltern mindestens so lange existieren muss, wie ihre Kinder leben. Natürlich kann ich mich an jedem Ort der Welt an die Eltern erinnern. Aber die Grabstätte ist für mich ein besonderer Ort der Erinnerung und (hoffentlich!) des Dankes, an dem mir Mutter und Vater gefühlsmäßig besonders nahe sind. Am nächsten Tag bin ich noch einmal zum Friedhof gegangen, weil ich nicht glauben konnte, dass jemand eine Grabplatte mit einem fremden Namen klaut. Ich habe nicht eher aufgegeben, bis ich die Platte gefunden hatte. Eine zentimeterdicke Grasnarbe hatte sie zugedeckt. Der Ort des elterlichen Grabes ist nun wieder markiert. So soll es auch noch etliche Jahre bleiben!"Die Grabstätte ist für mich ein besonderer Ort der Erinnerung, an dem mir Mutter und Vater gefühlsmäßig besonders nahe sind."Karl Gierse
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