Manchmal gibt es auch für mich als erfahrenen Gerichtsreporter noch Überraschungen. Ich platzte in eine Verhandlung des Strafgerichtes des Amtsgerichtes Vechta – und war der Annahme, es gehe um einen Betrug. Ging es auch, aber plötzlich stand eine gefährliche Körperverletzung im Raum. Genauer: die Misshandlung eines Kindes.
Das mit dem Betrug gegenüber der Agentur für Arbeit war schnell vom Tisch. Wenig Beweise, das Verfahren wurde eingestellt. Dann ging es um die gefährliche Körperverletzung.
Dazu gab es auch eine Nebenklägerin. Eine Verteidigerin vertrat die Frau mit Kindern, die sich von dem Angeklagten getrennt und ihn angezeigt hatten. Was dann kam, das war schon heftig. Ein Video wurde gezeigt. Zu sehen war, wie der Angeklagte seinen 7-jährigen Sohn, der an Autismus leidet, mit einem Kabel ziemlich heftig verprügelte. Kinder verprügeln, dachte ich, das gibt es doch nicht mehr und blickte zurück. Ja, wir vom älteren Jahrgang erinnern uns: In der Schulzeit war schon mal ein Schlag des Lehrers oder der Lehrerin mit der Hand oder einem Rohrstock üblich. Auch von den Eltern gab es schon mal eine Klatsche. Das aber ist lange her, dachte ich bei mir.
"Ein krankes Kinder zu verprügeln, das geht gar nicht. Das erklärte in der Strafgerichtsverhandlung auch die Nebenklägerin, die die Familie vertrat, in ihrem Plädoyer."Klaus Esslinger, Gerichtsreporter
Das Schlagen von Kindern ist in Deutschland verboten. Es hat zwar lange Zeit gedauert, bis sich das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung durchgesetzt hat. Erst seit dem 8. November 2000 ist das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ in Kraft. Manche erinnern sich und meinen, ein Schlag auf den Po habe niemanden geschadet. Nun gut, vorbei ist vorbei.
Ein krankes Kinder zu verprügeln, das geht gar nicht. Das erklärte in der Strafgerichtsverhandlung auch die Nebenklägerin, die die Familie vertrat, in ihrem Plädoyer. Die Staatsanwältin forderte wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung und eine Geldauflage. Die Verteidigerin des Angeklagten stellte keinen Antrag. Sie bat um ein mildes Urteil.
Der Angeklagte hatte, wie immer in den Prozessen, das „letzte Wort“. Das nutzte der Mann in englischer Sprache, um seiner von ihm getrennt lebenden Frau die Schuld an der Misere in der Familie zu geben. Das brachte die Verteidigerin auf die Palme. Sie unterbrach den Anklagten, bat um eine kurze Unterbrechung und ging mit dem Mann raus auf den Flur. Es wurde laut; der Angeklagte schwieg fortan und damit war das „letzte Wort“ zu Ende.
Die Strafrichterin verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung. Die Geldauflage von 1000 Euro muss der Mann an den Verein „Keine Gewalt gegen Kinder“ zahlen.
Zur Person:
- Klaus Esslinger ist Gerichtsreporter und war viele Jahre Lokalchef der Oldenburgischen Volkszeitung.
- Kontakt zum Autor über: redaktion@om-medien.de.