Kluge Lebensratschläge sind jederzeit kostenlos von angeblich "guten Freunden" und – etwas teurer – von professionellen Ratgebern aus dem Buchhandel erhältlich. Was beide Seiten verbindet, ist die Widersprüchlichkeit ihrer gut gemeinten Tipps. Ein Beispiel: Die "Achtsamkeitsliteratur" empfiehlt, sich ganz im Hier und Jetzt mit allen Sinnen zu verorten, um sich (und andere) zu spüren: Dann soll alles gut werden. Immer wenn ein Besuch beim Zahnarzt oder ein konfliktträchtiges Dienstgespräch ansteht, muss ich über diese Idee schmunzeln: Barfuß im Garten mag das Spüren freudigen Kitzel bereiten. Unter dem Bohrer möchte ich sämtliche Sinne am liebsten ausschalten. In belastenden Situationen löst die körperliche Wahrnehmung eher Fluchtinstinkte aus, die ein zivilisierter Mensch unterdrückt, weil sein Frontallappen reflektierten Einspruch erhebt.
Die Ausnahme bildet für mich ein hochdotierter Verwaltungsbeamter, der seine Kollegen mit einer Weglassung von Bekleidung verblüffte: Im Büro zog er Schuhe und Strümpfe aus und schritt barfuß auch über die Flure. Genützt hat ihm diese sinnliche Verbundenheit mit dem Teppichboden allerdings nichts. Denn die Kommunalpolitiker trennten sich von ihm, womöglich aus einem Mangel an Achtsamkeit, was seine dienstlichen Leistungen anging.
"Andere trifft der Mangel an Achtung, noch ehe sie überhaupt ins Amt gelangt sind."Hubert Kreke
Andere trifft der Mangel an Achtung, noch ehe sie überhaupt ins Amt gelangt sind. Aus dem Wahlkampf um die Rathäuser ist mir ein besonders abschreckendes Beispiel aufgedrängt worden. Ein offenbar verschmähter Verehrer schickte der Redaktion und den Parteien eine anonyme Schmierschrift, in der er einer völlig unbescholtenen Kandidatin die moralische Eignung für jedwedes Amt absprach und drohend ihre Streichung von der Wahlliste forderte. Der Grund: Sie lebt nach ihrer Trennung angeblich mit einem anderen Mann unverheiratet zusammen. Skandal!!! So was gab's ja noch nie! Wenn wir jetzt mal von Gerhard Schröder und Horst Seehofer absehen.
Da auf diesen Unfug niemand ernsthaft reagieren kann, versucht es der abgewiesene Möchtegern-Liebhaber jetzt anscheinend mit einer anderen Taktik der Verdammung: Nachts wird auf Wahlplakaten das Gesicht der Frau geschwärzt. Immer wieder. Achtung vor so einem armseligen Menschen zu wahren, fällt mir schwer, weil er selbst keine zeigt.
Ich empfehle nun doch den Buchhandel: Psychologische Ratgeber zur Selbstreflexion könnten seinem unterentwickelten Frontallappen vielleicht noch auf die Sprünge helfen. Sonst müsste das womöglich die Polizei nachholen, die inzwischen wegen Sachbeschädigung ermittelt.
Zur Person:
- Hubert Kreke ist Redakteur der OM-Medien.
- Den Autor erreichen Sie unter der Adresse redaktion@om-medien.de.