Navid Kermani bietet neue Sichtweisen auf alte existenzielle Fragen
Der ausgezeichnete Autor hat aus seinem neuen Werk "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen" gelesen.
Jonas Seelhorst | 13.03.2023
Der ausgezeichnete Autor hat aus seinem neuen Werk "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen" gelesen.
Jonas Seelhorst | 13.03.2023
Inspirierend und verständlich: Navid Kermani greift existenzielle Fragen des Lebens auf und erweitert diese mit interessanten Vorstellungen und Sichtweisen. Foto: Seelhorst
"4 Jahre warten wir schon auf den heutigen Gast", freute sich Bürgermeister Gerd Meyer über den Besuch des deutsch-iranischen Schriftstellers Navid Kermani. Der preisgekrönte Autor (Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015, Kleist-Preis, Joseph-Breitbach-Preis, ECF Princess Margriet Award for Culture 2017) las am Samstagabend im Rathaus Visbek, einem voll besetzten Saal, aus seinem neuesten Werk "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen" vor. Organisiert hatte die Veranstaltung der Kulturkreis Visbek. Dabei sei dieser Besuch auch für ihn etwas ganz Besonderes, sagte Kermani. Viele Briefe, die er bekomme, stammen aus ihm unbekannten Orten abseits der Großstädte. Ihm sei es eine Freude – nach Besuchen in Berlin und Braunschweig – auch einmal eine Lesung in kleineren Gemeinden wie Visbek zu halten. Inspiration für das Buch fand Kermani, als die ihm zur Verfügung stehenden (religiösen) Geschichten und Texte nicht seine Ansichten widerspiegelten. "Das, was ich meiner Tochter vorlese, ist nicht das, was ich meine", sagte er. "Es ist, als ob die Bücher die Kleidung eines Menschen beschreiben, jedoch ohne ein Wort über dessen Charakter zu verlieren." Daraus entstand der Wunsch, ein eigenes Buch zu verfassen, welches sich mit existenziellen Fragen und der Einordnung des Glaubens – hier am Beispiel des Islams – in unsere heutige Gesellschaft beschäftigt. Das Buch ist wie ein Gespräch eines Vaters mit seiner Tochter geschrieben, indem er ihr genau diese grundsätzlichen Fragen und seinen Bezug zum Glauben näher bringt. Diese Atmosphäre schwingt schnell über, und das Geschriebene wirkt wie ein persönliches Gespräch mit Kermani. Die verständliche Wortwahl erinnert an tiefgründige Gespräche mit einem engen Familienmitglied oder einem guten Freund. So verknüpft der Autor in insgesamt 20 Kapiteln geschickt Spirituelles und Mystisches mit Wissenschaftlichem und setzt dies in spannende Beziehungen zueinander. "Alles, was wir Geschichte nennen, findet in den letzten 35 Sekunden statt", erklärte Kermani, wenn die Zeitspanne vom Urknall bis heute genau ein Jahr betrage. Angesichts dieser räumlichen und zeitlichen Dimensionen kann schnell die Frage aufkommen, ob unser Dasein sinnbehaftet oder irrelevant sei. Können wir tun und lassen, was wir wollen, da wir in interstellarem Maßstab unwichtig sind? Diese und auch andere Fragen nach Bedeutung, Tod oder ob alles bloß ein Zufall sein kann, werden von Kermani aufgegriffen und sinnvoll mit interessanten Vorstellungen und Sichtweisen erweitert. Beispielsweise ist einem Kleinkind das "Ich" als Begriff des Selbstbewusstseins zunächst nicht greifbar, bis die Erkenntnis durchbricht: "Wir sind wichtig." Auch der Koran spricht jedem einzelnen Leben eine Bedeutung zu. Der Glaube könne so als Hoffnungsgeber dienen. Kermani nimmt dabei immer wieder Bezug auf den mystischen Aspekt des Korans. "Sehr viele einfache Muslime finden sich im Buch wieder." Andere würden sein Werk als provokant bezeichnen, denn anders als die Fundamentalisten nimmt die Mystik die Schriften nicht wörtlich, so Kermani. In den beiden angeregten Gesprächsrunden stellten zahlreiche interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer Fragen zum Buch oder auch anderen Themen, die Kermani ausführlich und verständlich beantwortete. Am Ende der Lesung haben noch viele die Gelegenheit genutzt, bei Getränken und Snacks miteinander ins Gespräch zu kommen und ihr persönliches Buchexemplar signieren zu lassen.Kermani greift existenzielle Fragen auf und erweitert diese mit Vorstellungen und Sichtweisen
Kermani nimmt dabei immer wieder Bezug auf Mystik
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